Dieter Wöhrle - Schein und Sein (Gedicht des Tages)
Hördatei:
Schein und Sein
Sie sitzt im Zug, eine gepflegte
Erscheinung, duftet nach Parfüm,
was, als er einstieg, ihn erregte.
Nun werden Träume ungestüm.
Er hält sie für ein strahlend Licht,
zu dem die Männermotten streben,
doch nichts für ihn, den armen Wicht.
Wie unfair ist doch dieses Leben!
In Wirklichkeit sie fährt tagtäglich
zum Arzt, der ihr Tabletten gibt.
Gelenkschmerzen sind unerträglich
und machen böse, unbeliebt.
Da sitzt er vor ihr, gut gekleidet,
ist sportlich, braungebrannt und schick.
Er scheint ein Prinz, doch sie vermeidet
ihn anzuseh´n und senkt den Blick.
Er strahlt auf sie die Stärke aus,
nach der die Frauen sich verzehren.
Doch sie, die dauerkranke Maus
bleibt wohl allein und muss entbehren.
In Wirklichkeit wurd´ er entlassen
erst gestern aus dem miesen Job
und sitzt auf Riesenschuldenmassen.
Für ihn geht´s abwärts ohne Stopp.
Man sagt, der Fantasie entspringt,
was viele von uns Liebe nennen.
Wie gut, wenn etwas in uns klingt
und wir die Wirklichkeit nicht kennen.
Berlin, 11 11 2012
Dieter Wöhrle
Rheinstraße 50
12161 Berlin
Tl.: 030 – 392 22 94
Mail: dieterwoehrle@web.de
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