Dirk Röse liest am 19. September im gemeindehaus der evanglischen Kirchengemeinde in Sögel
19. September 2014 um 19:30 Uhr im Gemeindehaus der evangelischen Markuskirchengemeinde in Sögel
Dirk Röse mit Lesung aus
‚frag•lich•t•e•mo•mente‘
Geschichten
Nachwort von Olaf Bröcker
Geest-Verlag 2014
ISBN 978-3-86685-460-4
ca. 314 S. 12,50 Euro
In seinen Geschichten beschreibt Dirk Röse Menschen an den Brennpunkten ihres Daseins.
Wenn das Leben auf Messers Schneide steht, wenn Biografien auf die Spitze getrieben werden,
wenn Menschen mit sich selbst konfrontiert werden, immer dann entstehen die „fraglichten“ Momente –
„momente“ zwischen „licht“ und „fraglich“, in denen das Leben ein „fragment“ zu bleiben
droht. Im vorliegenden Band spannt der Harener Autor einen weiten Bogen aus Abenteuer, Dystopie, Krimi, Parodie, Phantastik und einfühlsamen, nachdenklichen Erzählungen.
daraus den nachfolgenden Ausschnitt:
Meine Schwiegermutter hat sich von ihrem Mann getrennt und ist von zu Hause ausgezogen. Um es sogleich vorwegzunehmen: Nach nur zwei Tagen in irgendeinem Hotel in Osnabrück stand sie mit mehreren Koffern bei uns vor der Tür und bat um Asyl. Da ich noch im Büro war, traf ihr Überfall meine völlig unvorbereitete Frau. Seitdem lebt Schwiegermutter bei uns.
Wir, das sind meine dreizehnjährige Tochter, mein zehnjähriger Sohn, meine zeitlose Frau und mein vierzigjähriges Ego.
Schwiegermutter, das ist jene dynamische Person Mitte 60, die sich stets an ihre jüngste Tochter wen-det, wenn es schwierig wird. Die jüngste Tochter mei-ner Schwiegermutter ist natürlich meine Frau.
~
Den Zeitpunkt ihres überraschenden Besuchs hatte Schwiegermutter gut gewählt. Es war an einem jener wenigen heißen Tage im August, direkt nach dem Sommerurlaub. Meine Frau war braun gebrannt und erholt, die Kinder genossen ihre Ferien und ich brütete im Büro schwitzend über Hunderten E-Mails, die sich während des Urlaubs angehäuft hatten. Mein perfektes Familienglück.
Ich kam abends nach Hause, das Hemd durch-weicht, die Krawatte schon halbwegs gelöst, die Socken verschwitzt, der Anzug zerknautscht. Ich sehnte mich nach einem kühlen Glas Campari-O on Ice und einer Dusche. Obwohl ich schwer genervt war, beabsichtigte ich, niemandem die gute Stimmung zu verderben. Mit Aktenkoffer und Notebook unter dem Arm stand ich vor der Haustür und suchte verzweifelt meinen Schlüssel, als mir das Jackett von der Schulter rutschte. Ich bückte mich und just in diesem Augenblick öffnete sich die Tür. Immer noch kniend sah ich zwei schlanke Beine vor mir. Aber es waren nicht die Beine meiner Frau. Ich blickte auf. Von oben herab sah Schwiegermutter mich an.
»Na, mein Lieber, alles im Griff?«, fragte sie mich.
»Schwiegermama, was machst du denn hier?«
Hinter ihrem Rücken tauchte meine Frau auf und wedelte verzweifelt mit den Armen.
»Welch angenehme Überraschung«, fügte ich schnell und überzeugend hinzu. Ich erhob mich, doch muss ein Schuh auf dem Jackett gestanden haben. Auf den Schwung meiner Aufwärtsbewegung folgte ein lautes, unschönes Reißen. Zum Glück löste sich der Ärmel direkt in der Naht vom Rest. Es war mir so peinlich.
Schwiegermutter schnappte sich das Jackett, be-gutachtete den Riss und meinte: »Als wenn wir Frauen nichts Besseres zu tun hätten. Das kriege ich wieder hin. Aber komm doch rein.«
Sie machte mir den Weg frei, sodass ich eintreten und meiner Frau einen flüchtigen Kuss geben konnte, den Schwiegermutter sehr genau beäugte. Sie grunzte, sagte aber nichts. Mein guter Vorsatz, niemandem die Stimmung zu verderben, wankte gefährlich.
~
Auf meinem Weg in die Dusche wagte ich einen Blick ins Gästezimmer. Erwartungsgemäß sah ich dort ein frisch bezogenes Bett sowie das Gepäck meiner Schwieger¬mutter. Mich beunruhigte die Anzahl der Koffer, die zwar nicht ausgepackt waren, jedoch einen längeren Aufenthalt erwarten ließen. Die Zukunft verhieß nichts Gutes.
Nur kurz blieb ich unter der Dusche, um mich mög-lichst schnell zum Abendessen begeben zu können. Noch nackt stand ich mitten im Bad und hatte gerade einen Fuß in der Unterhose, als Schwiegermutter hereinkam. Schamlos begutachtete sie mich und setzte dabei eine enttäuschte Miene auf. »Jetzt wird mir so einiges klar«, orakelte sie.
Verzweifelt versuchte ich, mich ihren eindringlichsten Blicken zu entziehen, indem ich mich hastig in die Unterhose zwängte. Anstatt sich höflich zurückzuzie-hen, fragte sie mich, wie lange ich hier noch bräuchte. Sie wollte schnell ihre Kulturtasche auspacken.
»Tu dir keinen Zwang an«, sagte ich mit gepresster Stimme.
»Gut«, sagte sie und zog den Reißverschluss des Köfferchens auf, während ich mich weiter anzuziehen versuchte.
Meine Shorts und das Polo-Shirt veranlassten sie zu der Bemerkung: »Deine Frau hält ja mehr auf ihr Äußeres.«
»Als wer? Als du?«, fragte ich.
Sie rümpfte die Nase und sagte: »Nicht jeder kann sich stets etwas Neues leisten.«
»Stimmt«, erwiderte ich, »Schönheit hat ihren Preis und nicht jede Frau bezahlt ihn.«
Ich eilte aus dem Bad und die Treppe hinunter in die Küche, gewillt, mit jedem meine schlechte Laune zu teilen, der meinen Weg kreuzte. Da war er also: der Krieg im eigenen Haus. Muss ich erwähnen, dass mir meine Frau in der Küche um den Hals fiel und unter vielen Küsschen versicherte, dass es »ja nur für ein paar Tage« sei?