Dieter Krenz - Erzählungen in der Isolation - der sechszehnte Tag (Literatur in schwierigen Zeiten)

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Unser krankes Kind musste bereits den sechzehnten Tag zu Hause bleiben. Umso mehr freute es sich, als am Nachmittag der Maxi erschien. Der kam natürlich mit seinem flotten Rad. Das Kind beobachtete ihn durchs Fenster, wie er mit Schwung abstieg und sich den Helm abschnallte. Das Kind erwartete nun eine knallige Geschichte, denn der Maxi erzählte gerne große Abenteuer. Aber es kam anders.

Was ich Dir jetzt erzähle, habe ich wirklich erlebt. Ich erzähle Dir von meinem Musiker, sprach der Maxi mit ernster Miene. Als ich noch klein war, sind meine Eltern mit mir zu einem Fest gegangen, das auf einer großen Wiese statt fand. Unter den Bäumen waren Bierbänke aufgestellt. Aber da fanden wir keinen Platz mehr. Mein Papa hatte sich das gleich gedacht und eine Decke mitgenommen. Die breiteten wir jetzt auf einem schattigen Fleck aus. Meine Mama hatte einen Korb mit Essen und Trinken dabei. Das schmeckte an der frischen Luft super.

Am anderen Ende der Wiese war eine kleine Bühne aufgebaut. Da wurde Musik gespielt. Nachdem wir gegessen und getrunken hatten, gingen wir in Richtung der Bühne um die Musik besser hören zu können. Die Idee hatten aber andere Leute auch. Je näher wir zur Musik kamen, umso dichter wurde es. Darum blieben wir stehen. Aber die Leute drängten nach.

Ich weiß nicht, wie es passierte; aber mit einem Mal waren meine Eltern verschwunden. Und die Leute schoben mich weiter. Ich konnte gar nichts machen. Du kannst Dir vorstellen, wie verzweifelt ich war. Ich rief zwar nach meinen Eltern. Aber weil die Leute die Lieder mitsangen, hörte mich keiner.

Wie es geschah, weiß ich nicht. Plötzlich war ich am Bühnenrand. Über mit spielte ein Gitarrist. Ich schaute verzweifelt zu ihm hinauf. Aber er lächelte mir nur zu. Irgendwie muss er aber dann geahnt haben, dass etwas mit mir nicht stimmt. Als das Lied zu Ende war, beugte er sich zu mir hinunter und fragte mich, was los sei. Ich fasste all meinen Mut und stotterte, dass ich meine Eltern verloren hätte.

Kaum hatte ich das gesagt, wurde ich von ihm auf die Bühne gehoben. Er schnappte sich das Mikrophon und machte eine Durchsage. Was er sagte, weiß ich nicht. Aber nach einer Ewigkeit sah ich meine Eltern am Bühnenrand. Ich war gerettet. Während wir weggingen, setzte die Musik wieder ein.

Weißt Du einen Namen für diesen Musiker?

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