Lauff, Irmgard - Wenn man aufhören könnte zu suchen
Wenn man aufhören könnte zu suchen
Geest-Verlag 2020
ISBN 978-3-86685-789-6
160S., 12 Euro
Heute habe ich mir
überlegt
wer meine Eltern sind
und ich habe mir vorgestellt
dass der Winter mein Vater sei
nein der Herbst wäre besser
mit seiner Melancholie
und der Sommer
die Mutter
Wer aber sind mein Bruder und ich
Weder Herbst noch Winter
weder Frühjahr noch Sommer
sind einfach zwei Kinder
aus verschiedener Zeit
Irmgard Lauff
Vater hat mir Fragen hinterlassen, die Fragen, wie der Mensch in der Angst zum gefügigen Untertan und Teufel werden kann. Wie er sich in die Ketten der Räder einspannen lässt, um Armut und Schande zu entkommen. Nur dem eigenen Profit nachrennend, seine Menschlichkeit und Urteilskraft verlierend, überlebt er als Krüppel, auf seinen Stock gestützt, den schweren Leib über die Erde stoßend und mit aller Kraft gegen das Erkennen des Bösen kämpfend, an dem er - wie doch fast alle -, was es nicht besser macht, beteiligt war. Mit der Flucht vor seinem Kind, hat er mich in die Geschichte geschickt zu den geschundenen, gedemütigten Toten und Überlebenden, vor denen er in Wirklichkeit davon rennen wollte, aber seine Beine und sein schwerer Körper streikten, sein krankes Herz ließen ihn zum Gefangenen seiner Schmerzen werden für den Rest seiner Zeit.
Er ging weg.
Das war sein Weg.
Und ein paar Mal haben sich unsere Wege gekreuzt.
Leserstimme zu:
Wenn man aufhören könnte zu suchen
Das Buch habe ich in einem Zug gelesen. Ich bin fasziniert von dieser Art
Lebensbeschreibung. Über weite Strecken ist das, was erzählt wird, sehr deprimierend.
Trotzdem ist es ein Buch, das Hoffnung macht und Kraft (weiter-)gibt. Im Mittelpunkt steht
die Entwicklung einer Frau, direkt nach Ende des Zweiten Weltkrieges geboren. Sie hat
schon als Jugendliche eine Vision, wie das Leben sein könnte, und die hat sie wie ein
Kompass durch alle Schwierigkeiten geleitet. Sie war bei allen Schwierigkeiten in der
Lage, zu wissen, was sie wollte, und hat es geschafft.
Es ist eindrucksvoll, wie sich aus dem Geflecht der beschriebenen, individuellen
Schicksale nach und nach die ganz große Frage herausschält, die sie angetrieben hat,
ein Buch zu schreiben. Dass sie nicht aufhören konnte, zu suchen, kann ich nun bestens
verstehen.. Dieses Buch ist beispielhaft dafür, wie schwierig die Suche nach den
Schuldigen des Naziregimes sein konnte.
Nicht zuletzt beeindruckt mich ihr Bestreben, niemanden zu verurteilen,
auch nicht die, die ihr so viel Schmerz zugefügt haben. Sie vertieft sich in
ihre Situation, bis der Mensch zum Vorschein kommt.
Manchmal habe ich sogar herzlich lachen können…
"Perlen in ihrer Hand" hat mit diesem Buch eine würdige Fortsetzung
erhalten. Das freut mich sehr!
Ninon Colneric