Inken Hübner - Die Zukunft. Welche Zukunft?

Inken Hübner, 17 Jahre, Berlin
Die Zukunft. Welche Zukunft?

Es hat eine Weile gedauert, bis ich die Gefühle, die ich verspüre, wenn ich an die Zukunft denke, einordnen konnte. Am Anfang dachte ich, da ist nicht mehr als pure Verzweiflung, Angst und Trauer, die drohen, mich zu verschlingen und in die Tiefe zu ziehen. Doch mit der Zeit wurde mir klar, dass neben diesem erdrückenden Ozean an Emotionen tief in mir drinnen noch etwas Anderes schlummert. Etwas, das am An-fang nur ein wenig Glut war, doch mit der Zeit zu lodernden Flammen geworden ist: Wut. Ich bin wütend. So, so wütend. Wenn mich das Wasser vorher nicht ersticken konnte, als es mich unter seinen Massen begraben wollte, versucht jetzt das Feuer, mir die Luft zum Atmen zu nehmen.
In den letzten Jahren sind immer mehr Ereignisse geschehen, die mich jedes Mal aufs Neue daran zwei-feln lassen, ob unsere gesamte Menschheit überhaupt eine Chance zum Überleben hat. Vor über einem Jahr marschierten die russischen Truppen in die Ukraine ein. Schon vor diesem Krieg gab es Kriege in Europa oder auf der Welt. Doch diesmal fühlt es sich anders an. Vielleicht, weil dieser Krieg so viel näher ist als ein Krieg in Syrien, dem Irak oder Afghanistan. Viel-leicht, weil ich älter geworden bin und der Realität ins Auge sehen muss, dass die Welt nicht so okay ist, wie ich mit der Naivität eines Kindes dachte. Am Anfang waren die Bilder aus den Kriegsgebieten erschreckend und lähmend. Das sind sie immer noch, doch nun gehören sie zum Alltag dazu.
Das sollten sie nicht.
Der Mensch ist ein träges Wesen, welches sich sehr schnell an neue Situationen gewöhnen kann und noch schneller vergisst. Doch wir können es uns nicht leisten zu vergessen. Dafür ist das, was auf dem Spiel steht, zu kostbar und fragil. Die Demokratie ist, was auf dem Spiel steht. Sie ist nicht in der Lage zu existieren, wenn wir sie für selbstverständlich halten und uns nicht aktiv jeden Tag für sie entscheiden.
Ich brauche gar nicht bis in ein anderes Land schau-en, um zu sehen, wie zerbrechlich das ist, was wir haben. Ich kann einfach den politischen Umschwung verfolgen, der gerade in Deutschland stattfindet. Er lässt das Blut in meinen Adern gefrieren. Die AfD ge-winnt an Zuspruch. Die ‚Alternative‘ für Deutschland ist alles außer eine Alternative. Da gibt es keine Sub-stanz, mit der man zusammenarbeiten kann, denn mit Faschisten kann man nicht arbeiten. Ich dachte, dass ein Land mit der historischen Vergangenheit wie Deutschland sie hat, nie wieder daran denken würde, auch nur in diese Richtung zu gehen. Dennoch stei-gen die Umfragewerte der AfD, und mit ihnen meine Wut und Verzweiflung. Ich hatte Hoffnung in die neue Regierung, so viel Hoffnung. Endlich war da das Licht einer kleinen Ampel, das durch den Schleier an Schwarz, der so lange seine Klauen um unsere Zu-kunft klammerte, hindurchscheinen konnte. Ich kannte sechzehn Jahren nichts anderes, und auf einmal lag die Zukunft vermeintlich vor uns. Allerdings scheinen die Kabel der Ampellampen schon am Durchbrennen zu sein, und ich verstehe nicht warum.
Wird uns nicht schon von klein auf beigebracht, dass man in seinem Leben Kompromisse eingehen muss, um eine zufriedene Lösung für alle zu finden? Wird einem nicht beigebracht, dass man reden und zuhö-ren muss, um ein Problem lösen zu können? Warum scheinen uns diese Fähigkeiten im Alter abhanden zu kommen? Wieso können unsere Politiker und Politi-kerinnen, egal welcher Partei sie nun angehören, nicht einfach darauf zurückgreifen? Weshalb machen sie nicht einfach, einfach, einfach …
Einfach ist ein Wort, das man sehr einfach verwendet. Es geht von unseren Lippen zu einfach. Doch viel-leicht, ganz vielleicht, ist einfach etwas, was wir mal brauchen würden.
Vor einiger Zeit dachte ich noch, dass unser größter Feind der Klimawandel sein wird. Jetzt bin ich mir sicher, dass wir selbst unser größter Feind sind. Wenn nicht ein von uns erschaffenes Phänomen unser Un-tergang sein wird, dann wird es unsere eigene Dummheit und Gier am Ende sein, die uns den Garaus macht. Wir standen schon oft am Abgrund. Nicht sel-ten sind wir am äußersten Rand der Kluft entlang ge-glitten und standen kurz vor dem Ende der Mensch-heit. Sollten wir diesmal den Rand nicht mehr be-rücksichtigen und uns die Schlucht hinunterwerfen, dann wird das unser Ende sein. Wir werden nicht mehr in der Lage sein, aus der Asche, die das Einzige sein wird, was bleibt, wie ein Phönix emporzusteigen, bereit, die Welt erneut zu erobern. Weil es uns nicht mehr geben wird, nachdem wir mit all unseren Waf-fen aufeinander losgegangen sind, für materielle Din-ge, die uns letztendlich auch nicht beim Überleben geholfen haben.
Wenn ich an eine Zukunft denke, die mir lebenswert erscheint, dann muss ich ziemlich lange nachdenken. Ich glaube, weil ich es mir nie erlaubt habe, wirklich über eine Zukunft nachzudenken, in der wir als Gesellschaft eine Aussicht auf ein gutes Ende haben. Jetzt bekomme ich den Eindruck, dass sich zwischen all der Trauer und dem Zorn noch ein neues Gefühl bei mir einnistet. Hoffnung.
Hoffnung ist ein mächtiges und gefährliches Gefühl. Es tut besonders doll weh, wenn sie enttäuscht wird. Nichtsdestotrotz erlaube ich mir, Hoffnung zu empfinden, die so hell wie der Nordstern am pechschwarzen Nachthimmel scheint.
Ich will nicht wissen, wie eine Welt aussieht, wenn wir nichts unternehmen. Ich will wissen, wie sie aus-sieht, wenn wir etwas tun. Ich will, dass meine Kinder mal in einer Welt leben, die noch lebenswert ist. Sie sollen nicht mit der Angst aufwachsen, ob ihre Zu-kunft überhaupt noch stattfinden wird. Vor allem will ich sagen können, dass meine Großeltern, Eltern und ich alles dafür getan haben, dass es unserer Erde bes-ser geht. Ich will ihnen nicht in die Augen schauen müssen und erklären, dass wir tatenlos zugesehen haben, wie wir untergehen.
Eine erstrebenswerte Zukunft bedeutet für mich, wie-der neue Perspektiven zu haben, für die es sich lohnt, zu kämpfen. In einer erstrebenswerten Zukunft rei-chen sich Menschen die Hände, anstatt mit Waffen aufeinander zu zielen. Statt Kriege zu führen und un-sere Hände im Blut Unschuldiger zu baden, treten wir in den Dialog, um gemeinsam Lösungen für ein Prob-lem zu finden. Auf der Welt sind die Klänge von Bom-ben, Granaten und Schüssen verstummt und wurden von dem leisen Klang von Musik ersetzt, zu welcher verschie-denste Kulturen zusammen tanzen. Es exis-tiert ein Austausch zwischen diesen Kulturen, und die Welt versteht sich als Ganzes, anstatt über West und Ost zu streiten. Es ist egal, welcher Religion oder Se-xualität du dich zuzählst, denn das ist nicht, was einen Menschen komplett ausmacht. Es ist schon gar nichts, weswegen Kriege angefangen werden müssen.
Diktaturen sind zu Staub zerfallen und Demokratien beherrschen uns. Mit ihnen kommen Grundwerte zu-rück, die uns scheinbar vor langer Zeit verloren gegangen sind. Es flirren die verschiedensten Meinungen durch die Luft, die sich zu einer Wolke formen und sich in einem Regen aus Ideen über die Mensch-heit ergießen. In den Regierungen sitzen keine Fa-schisten, die die Demokratie verteufeln und die Angst der Menschen für ihre Zwecke missbrauchen. Es gibt keinen Platz mehr für sie, denn sie lassen keinen Platz für andere.
In einer lebenswerten Zukunft werden wir die Klimakrise in den Griff bekommen. Unsere Kinder werden nicht mehr wissen, was Kraftwerke sind, denn diese sind schon längst Reliquien der Vergangenheit ge-worden. Stattdessen säumen Solaranlagen die Dächer der Häuser und Windräder türmen sich wie weiße Riesen auf, um sich leicht im Wind zu drehen. In den Städten steht der Smog der Autos nicht mehr, und man kann wieder frei atmen. Überhaupt sind die Städte so grün, dass man das Gefühl hat, in einem Wald zu stehen. Es wird immer noch Auto gefahren, nur eben mit grünen Energieressourcen. Außerdem gibt es eine Infrastruktur, die jeden Netzwerkplaner vor Stolz platzen lassen würde.
Die Zukunft wird weder beherrscht von einem Patriarchat noch von einem Matriarchat. Es gibt reale Gleichberechtigung, die nicht von Quoten festgelegt wird. Jeder Mensch ist gleich. Ich werde meiner Tochter nicht erklären müssen, warum sie weniger verdienen wird als ein Mann, obwohl sie die gleiche Arbeit macht. Ich werde ihr auch nicht eintrichtern müssen, niemals, wenn es draußen dunkel ist, alleine umherzulaufen, schon gar nicht in diesen Klamotten, einfach, weil die Straßen sicher sind, sodass Mädchen ohne Angst ihren Weg nach Hause finden können.
Ich will einen Sozialstaat, der wirklich sozial ist. Die reichsten Menschen dieser Welt sollen nicht auf Kos-ten der Armen leben und mit Privatjets um die Welt jagen, während andere von der Hand in den Mund leben müssen. Wir fangen unter den gleichen Bedin-gungen an, denn es gibt faire Bildungschancen. Es ist nicht mehr der Fall, dass einige Schulen voll digitali-siert sind, während andere sich noch in der Kreide-zeit befinden. In der Zukunft ist uns Bildung wichtiger als sie uns jetzt ist, denn Bildung ist der Schlüssel zu einer demokratischen Zukunft.
Wenn ich an die Zukunft denke, sollen da nicht mehr Trauer und Wut sein. Weder Wasser noch Feuer sol-len mich noch ersticken können. Ich will mit Zuversicht in die Zukunft blicken, weil ich weiß, dass es sich zum Besseren wenden wird. Die Zukunft brennt nicht mehr durch die Zerstörung, die wir hinterlassen haben, sondern durch die Hoffnung, die in jedem Einzelnen von uns lodert und sich in ein Inferno verwandelt.
Trotz dieser Hoffnung, die ich habe, fühlt es sich nicht realistisch an. Es ist wie ein unerreichbarer Traum, von dem man immer und immer wieder träumt mit dem Wissen, dass, wenn man aufwacht, die harte Realität zuschlagen wird und dich daran erin-nert, wie die Wirklichkeit ist. Es ist eine Utopie.
Oder?