Dietrich Machmer, Keimzelle des Widerstands


Dietrich Machmer, Seevetal
Keimzelle des Widerstands

Wie geschaffen war ich für dieses Leben.
Alles, was ich wollte, konnte ich mir denken.

Die Seele baumelte gleichmütig in Bodennähe.
Das Denken fiel mir in den Schoß.

Meinen Unterhalt bezog ich aus Zufällen.
Ich lehnte mit dem Rücken am freien Raum.

Nichts fehlte. Es gab so viele Krankheiten
wie Gesundheiten. Keine hielt mich auf.

Ich konnte mich einfach gehen lassen
und immer bleiben an keinem bestimmten Ort.

Alles war so leicht wieder vergessen
wie es gelernt war. So glatt war meine Stirn.

Ich lachte auch noch lange nachdem ich
die furchtbare Nachricht empfangen hatte.*

Als das Glück aussetzte, versuchte ich
die Zeit mit Hunger und Durst zu vertreiben.

Mit geschlossenen Augen betrachtete ich
den lichtgetrockneten Rand dunkler Wolken.

Ich hielt mich aus allem heraus. Angst
überfiel mich nur an sonnigen Tagen.

Den Nächten ergab ich mich, und arbeitete
an meinem Entwurf zu einem früheren Tod.

Die Nachrufe waren verfasst. Ohne Klage,
ohne Wut und leider ohne Liebe.

Wenn es so weit war, würde ich in der Flut
nicht untergehen, sondern eintauchen.

Irgendwo musste die seichte Wahrheit
doch aufbrechen, plötzlich und unvermittelt.

Aus weiterem Himmel? Aus tieferen Gründen?
Ein dunkler Sog in stillem Wasser?

Alle Fragen waren immer nur
leichte Blätterhaufen auf harter Erde.

Keine Frage konnte Wurzeln in mir schlagen.
Es müsste ein Windstoß kommen.


*nach Bertold Brecht: „Der Lachende hat die furchtbare Nachricht nur noch nicht empfangen.“, aus: „An die Nachgeborenen“.

21:33 28.05.2024