Karin Monteiro-Zwahlen, Sprachwandel

Karin Monteiro-Zwahlen, Chapela (Spanien)
Sprachwandel

Wieder wird der Raum enger,
dünner die Luft,
und plötzlich reden deine Freunde
eine Sprache, die du zwar kennst,
aber noch nie verstanden hast,
und sie sagen Wörter,
die wie Schottersteine
über ihre Zungen rollen
oder wie Gewehrschüsse zwischen
ihren Lippen hervorzischen,
und sie tun, als ob
sie schon immer so geredet hätten
und wie wenn du es wärst,
die die alten Wörter so verdreht,
dass man sie nicht mehr verstehen kann,
und sie schauen befremdet,
wenn du sprichst,
als würden sie den Sinn
deiner Sätze nicht wirklich begreifen,
als wärst du nicht ganz schlau im Kopf,
von einer anderen Welt
oder sonst aus irgendeinem Grund
nicht ganz ernst zu nehmen.

Und du versuchst ihnen klarzumachen,
dass die Sprache, die sie heute reden,
als wäre sie ihre eigene,
noch gestern die Sprache der anderen war,
aber sie mögen sich nicht erinnern,
wer diese anderen sein sollen,
und kreiden dir an,
dass es ja du seist,
die anders spricht,
und dass demzufolge
du die andere bist.

Und weil deine Worte nirgends ankommen,
hörst du ihr Echo in deinen Ohren hallen,
und für einen kurzen grausamen Augenblick
lassen Zweifel dein Herz gefrieren
und du fragst dich plötzlich,
ob du die richtigen Wörter wählst,
ob du sie richtig betonst,
sie richtig verwendest,
eine kalte Sekunde,
in der du sterben könntest,
wirst du von Ungewissheit geschüttelt,
du riechst den modrigen Atem der Schuld,
spürst den eisernen Griff der Anklage im Nacken,
eine ewig lange Sekunde,
bis endlich dein Blut heiß und trotzig wieder
durch deine Adern zu zirkulieren beginnt,
weil du dich schlagartig erinnerst,
dass du und deine Sprache eins sind,
und dass sie dich nicht verrät,
solange du dir selbst
treu bleibst.