4. Dezember 2013 - aktueller Autor - Jochen Keth

Jochen Keth, 1966 in Bensheim an der Bergstraße geboren, lebt seit 2005 in Berlin. Er arbeitet in Projekten mit Kindern, Jugendlichen, mehrjährige Leseerfahrungen als Lesepate an einer Förderschule in Berlin-Moabit hat und selber in unterschiedlichsten Rollen auf der Theaterbühne gestanden.

Im Geest-Verlag erscheint in Kürze sein Jugendroman 'Die Gemeinschaft der Traumhüter'. Daraus einen Auszug:

„Simon wir müssen uns beeilen. Der Zug kommt und du sitzt immer noch im Morgenrock herum.“
Die freundliche, aber fordernde Stimme von Farfalla war es, die Simon aus seinen Gedanken riss. Schnell klappte er sein Buch zu, legte den abgenutzten Bleistift zur Seite, nahm eine letzte Gurke vom Teller, die er mit zwei Bissen zerkleinerte, zog seine dunkelblaue Lieblingshose an, ergriff ein schwarzes Shirt, welches er über seinen Oberkörper streifte, steckte zuerst seinen rechten, danach seinen linken Fuß in die schwarzen Sandalen und stand in rekordverdächtiger Zeit zum Abmarsch bereit.
„Hast du etwas von Morgenrock erwähnt?“
Belustigt stand Simon in der Tür und Farfalla lächelte ihn freundlich an.
„Habe ich etwas von Morgenrock erzählt?“
Zügig verließ das vergnügte Pärchen nun gemein-sam das Haus, durchschritt den Vorgarten und schon befanden sich beide auf dem mit Kopfstein gepflasterten Weg, der sich durch den gesamten Ort bis zum Bahnhof erstreckte. Der schwarze Kater, der auf der Holzbank seinen Schlaf verrichtete, bemerkte ihren Aufbruch, doch folgten nur seine Ohren den bekannten Geräuschen, seine Augen hingegen blieben geschlossen.


Die Sonne wärmte bereits den malerischen Morgen, als Ferdinand zusammen mit seinem Koffer auf dem leeren Bahnsteig stand. Vor wenigen Minuten erst war er mit dem Zug aus der Großen Stadt im Süden angekommen – allein. Nun stand er dort und wartete auf seinen Großvater, der am Telefon darauf be-standen hatte, ihn gebührend zu empfangen, obwohl er den Weg zu dessen Haus schon bestens kannte.
Außerdem war er mit seinen dreizehn Jahren kein kleines Kind mehr, was er auch seinen Eltern beim Abschied zu erklären versucht hatte, als sie ihn besorgt zu seinem reservierten Platz begleitet hatten und erst im letzten Moment aus dem Zug gesprungen waren. Die Ereignisse der Fahrt gingen ihm jetzt auf dem Bahnsteig noch einmal durch den Kopf.
Gemütlich rumpelten die Eisenbahnwaggons über die Schienen. Ferdinand, der wortlos aus dem Fenster schaute und dabei versuchte die an ihm vorbeifliegenden Landschaftsbilder einzufangen, be-fand sich nicht allein im Abteil. Links von ihm saß eine ältere Dame, die im monotonen Gleichklang strickte. Sie war es auch, die pausenlos auf ihren dicklichen Mann einredete, der ihr stumm gegenübersaß und nicht wagte, seine Frau in deren Wortgewalt zu unterbrechen, und das nicht nur, weil ein Käsebrot, welches sich zwischen seinen Zähnen befand und auf dem er genüsslich kaute, ihn daran hinderte. Nachdem er den letzten Bissen geschluckt und jeden kleinsten Krümel von seiner Jacke entfernt und zu seinem Mund geführt hatte, rettete ihn schließlich seine Müdigkeit. Sein mächtiger Kopf fiel auf die Brust und es dauerte nur einen winzigen Moment, ehe er zu schnarchen begann und das Geräusch, sehr zum Missfallen seiner Frau, durch seinen leicht geöffneten Mund in die Freiheit strebte. Mit ihrem linken Fuß stieß die Frau ihn an. Der Mann schrak auf, wischte sich mit einem weißen Tuch Stirn und Mundwinkel ab und sah sich gleich darauf erneut dem Redefluss seiner Frau ausgesetzt, die wiederum ihren Erfolg mit einem wohlwollenden Blick honorierte. Zum Trost nahm der Mann sich ein weiteres Brötchen aus dem Korb, dazu gönnte er sich einen Schluck Limonade aus einer halbvollen Flasche.
„August, mir scheint, du hörst mir gar nicht zu. Und wenn du nicht schläfst, dann bist du nur am Essen. Also manchmal frage ich mich ...“