Daniela Naoumova - Ich habe das deutsche Volk gehasst (jugendliche melden sich zu Wort)
Hördatei:
Ruhrkulturen. Was ich dir aus meiner Welt erzählen möchte Hg. von Andreas Klink und Artur Nickel
Ich habe das deutsche Volk gehasst
Seit sechs Jahren wohne ich in Kray, einem Stadtteil der Kulturhauptstadt Essen. Essen ist meine Heimat, hier fühle ich mich wohl, hier leben meine Freunde. Als ich klein war, war Russland meine Heimat, ein Ort in Sibirien, wo es ganz kalt ist. Lei-der habe ich von der russischen Kultur nicht viel behalten, da ich mich in Deutschland so integriert habe, dass ich praktisch die deutsche Kultur übernommen habe. Wenn ich mich bei mir in meinem Stadtteil umsehe, so leben hier etwa sechzig bis siebzig Prozent Ausländer. Ich finde das schön, denn ich denke, dass auch sie die deutsche Kultur ein wenig geprägt haben. Es soll aber jetzt nicht so aussehen, dass ich der Meinung bin, dass die Deut-schen ohne die Ausländer nichts wären oder dass diese besser sind als sie. Nein, der Meinung bin ich nicht.
Ich selbst bin ein Gast in Deutschland. Doch ich weiß, dass man sich integrieren soll. Denn wir hät-ten es auch in unserem Land nicht gerne, wenn sich die Deutschen dort unsozial benehmen wür-den. Dieser Meinung war ich jedoch nicht immer. Eine Zeitlang habe ich das deutsche Volk gehasst, weil in Deutschland meine Familie auseinanderge-rissen wurde und man mir und meiner gesamten Familie sehr weh getan hat. Wir wurden im Jahr 2000 aus Deutschland ausgewiesen. Und in der Nacht, als mein Vater von der Behörde abgeholt wurde, wurde er wie ein Verbrecher behandelt. Man hat sich dafür noch nicht einmal entschuldigt!
Doch irgendwann habe ich begriffen, dass das deutsche Volk eigentlich nichts dafür kann, dass es nur die Behörde ist, die für das Leid meiner Familie verantwortlich ist. Also, nicht meine Lehrer, die Brötchenverkäuferin oder der Busfahrer. Doch das Trauma, welches ich als Kind erlebt habe, bleibt. Im Inneren werde ich weiterhin alle, die bei dieser Behörde sind, dafür verantwortlich machen, was sie mir und meiner Familie angetan haben. Trotzdem ist Essen meine Heimat geworden, möchte ich in Deutschland leben. Hier fühle ich mich richtig wohl. Und wenn ich in eine andere Stadt fahre, dann ha-be ich ein komisches Gefühl. Ich fühle mich einfach unwohl.
Daniela Naoumova ( 20 Jahre )