Dieter Wöhrle - nichts (Gedicht des Tages)

Hördatei: 

Nichts

„Wann haben Sie das letzte Mal
ganz einfach wirklich nichts getan
und sich befreit von Arbeitswahn,
Gehetze, Stress und Burnoutsqual?“

So fragt ein Psychotherapeut
im Wellness-Club. Gar leise, fein
dringt seine Stimme ins Gebein,
als er die Frage wiederkäut.

Im Griff hat er sein Publikum.
Man nickt, man lächelt, applaudiert.
Nur Lea fühlt sich irritiert
und regt sich nicht, bleibt stumm.

„Ist es denn nichts“, so fragt sie sich,
„wenn ich mal lese ´nen Roman?
Ist Spielen wirklich nichts getan?
Die Kinder finden´s königlich.

Ist´s nichts, wenn nach der Tagesschau
ich übersetz´ dem Sohnemann,
was er sonst nicht begreifen kann?
Und was heißt nichts denn nun genau?

Ist nichts, was nicht gilt dem Büro,
was mich beschäftigt doch privat
und was ich mach´ in Küche, Bad,
im Bett, im Garten, auf dem Klo?“

Geneigter Leser des Gedichts:
Du tust soeben leider – nichts.

Berlin, 28.1.2013

 

Dieter Wöhrle
Rheinstraße 50
12161 Berlin
Tel.: 030 – 392 22 94
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