Josephine Kullat - Große Wünsche (Jugendliche melden sich zu Wort am 13. Dezember)
Hördatei:
Große Wünsche
Meine Familie lebte vor einigen Jahren im Ruhrgebiet, zog dann jedoch fort aufs Land nach Ostfriesland. Damals muss ich schät-zungsweise zwei Jahre alt gewesen sein. Und so beginnen meine Erinnerungen dort: Wir leb-ten in einem winzigen Dorf, das man mit dem Motorrad meines Vaters in fünf Minuten um-runden konnte. Wir hatten ein sehr großes Haus mit zwei Stockwerken. Es war Platz ge-nug, um mit unseren Rollern durch die Küche zu fahren! Da es ein ganzes Stück bis zum nächsten Supermarkt war, gab es im Haus auch eine Vorratskammer. Wir hatten ein Au-ßen- und ein Innenschwimmbecken. Zu unse-rem Grundstück gehörte sogar ein Wall, der – von Bäumen überwuchert – für uns wie ein kleiner Wald war.
Als ich noch ein Kleinkind war, starben unsere beiden Katzen, an die ich mich vage erinnere. Das ist bestimmt sehr traurig gewesen, aber im Laufe der Zeit hatten wir noch viele Tiere im Haus: drei Gänse, einen bissigen Hasen, drei Katzen, von denen eine weglief, und zwei Meerschweinchen. Das Leben auf dem Land war ideal für heranwachsende Kinder, die viel Platz brauchen, um sich auszutoben. Und ge-nau das taten meine beiden Geschwister und ich.
Mein Vater hatte eine Arbeitsstelle in Essen und fuhr deswegen tagelang weg in die Stadt. Ir-gendwann wurde es ihm jedoch wohl zu um-ständlich, immer vom Arbeitsplatz zum Wohn-ort hin- und herzupendeln. Als ich gerade mit der ersten Klasse fertig war, zogen wir daher zurück nach Essen. Zuerst war ich begeistert. Wie aufregend! Die große Stadt mit all ihren bunten Lichtern und unglaublich hohen Häu-sern, die sich auf einer grauen Fläche dicht zu-sammendrängen! Doch bald wurde mir klar, dass dies nicht ein Ort war, an dem ich bleiben wollte.
Ich begann mich nach Ostfriesland zu sehnen, kehrte in Gedanken zurück zu unserem Haus. Sorgloses Leben. Aber lag das wirklich nur an dem netten kleinen Dorf? Oder daran, wie klein ich war und dass sich alle kleinen Kinder nicht viel Sorgen machen? Egal! Ich möchte zurück, immer noch! Das Leben im Ruhrgebiet ist ganz sicher nicht schlecht, aber für mich persönlich schlechter als das auf dem Land.
Ich habe mir vorgenommen, eines Tages zu-rückzuziehen. Ich habe mir im Kopf schon lan-ge ein Wunschbild meiner Zukunft gezeichnet. Im Moment gehe ich auf ein Gymnasium und bin zwölf Jahre alt. Ich hoffe, dass ich eines Tages mein Abitur habe und Journalismus stu-diere. Ich werde Schriftstellerin und Journalis-tin, das habe ich mir ganz fest vorgenommen. Es ist mir wichtig, gute Noten zu schreiben, da¬mit ich studieren kann.
Ich glaube, ich kann behaupten, dass Schrei-ben meine größte Leidenschaft ist. Ich möchte unbedingt Schriftstellerin werden! Schreiben macht mir sehr viel Spaß. Ich habe auch schon ziemlich viel geschrieben. Oft versetzen mich Ideen in eine Art Rauschzustand. Dann schrei-be ich, bis mir das Handgelenk schmerzt! Doch manchmal grübele ich auch stundenlang über Ideen, die einfach nicht kommen wollen. Das passiert mir immer, wenn ich mich unter Druck setze, die richtigen Worte zu finden. In solchen Momenten kommt es mir so vor, als würde mir die Fähigkeit, Geschichten zu schreiben, da-vonlaufen. Als versuchte ich, Wasser in bloßen Händen zu halten. Wie eine flackernde Kerze, die jeden Moment erlischt. Unberechenbar. Doch jedes Mal kehren die Ideen zurück, und ich kann aufatmen.
Ich hoffe, dass ich noch ganz oft so erleichtert aufatmen kann, wenn ich erst einmal eine Schriftstellerin und Journalistin bin, die in Ost-friesland lebt. Und bis es soweit ist, will ich hier in Essen noch viel Spaß mit meinen Freunden haben, die mich durch liebe Worte immer wie-der in meinem Traum bestätigen.
Liebe Grüße an Jantje, Isa und Anni!
Josephine Kullat ( 12 Jahre )