Lesung Dietmar Linke in Nordwestuckermark

 - Lesung, Buchvorstellung und Gespräch -

7. Oktober, 19.00 Uhr in der Kirche in 17291 Nordwestuckermark, OT Weggun

Dietmar Linke
Bedrohter Alltag
Als Pfarrer im Fokus
des MfS
Vorwort von Karl Wilhelm Fricke
Geest-Verlag 2015
ISBN 978-3-86685-512-0
ca. 496 S., 16.80 Euro

 

Ein Pfarrer, der sein Amt nicht verwal­ten, sondern den Freiraum Kirche im Umfeld des real-existierenden Sozialismus der DDR erlebbar machen wollte, geriet - wie der Autor auch - unweigerlich in das Fadenkreuz des MfS. Für einen offenen Dialog gab es in der Gesellschaft keinen Raum. In Zusam­menarbeit mit dem MfS entwickelten Staatsfunktionäre ihre Strategien, um eine kritische kirchliche Arbeit zu beeinflussen und zu zerstören. Dietmar Linke dokumentiert am Beispiel seiner Geschichte und der seiner Frau, wie das MfS, selbst nach ihrer Ausbürgerung nach West-Berlin, das Geschehen zu lenken versuchte.

 

Die Nachrichten der letzten Jahre und Monate über das Bespitzeln von Bür­gern per Telefon und Internet durch aus- und inländische Geheimdienste stellt für ein solches Buch einen nicht zu übersehenden aktuellen Bezug dar. Ein Pfarrer, der in der DDR sein Amt nicht nur „verwalten“, sondern den Freiraum Kirche im real-existierenden Sozialismus erlebbar machen wollte, geriet rasch in den Fokus des MfS (Ministerium für Staatssicherheit). Für einen offenen Dialog gab es außer­halb der Kirche kaum einen Raum.

In einem Gespräch mit Jürgen Fuchs, im Buch dokumentiert, sagt dieser zum Ehepaar Linke: „Ich finde euch in keiner Weise defensiv. Ich empfinde euch als realistisch, mutig, energisch. Ich empfinde euch solidarisch gegen­über anderen und euch selbst. Ich wollte nur andeuten, dass es sowieso keine Möglichkeit gibt, die Taten von Wiegand und anderen rückgängig zu machen, ob sie nun verstehen, was ihr für richtig haltet, oder ob sie bereuen, das ist fast eine untergeordnete Frage. Sondern dass es bei Men­schen­rechtsverletzungen und Ver­brechen dieser Art und auch dem, was man selber erlebt hat und an­dere erlebt haben, nur das produ­ktive Dagegen gibt, human natür­lich, aber das produktive Dagegen. Das drückt ihr für mich aus. Ich empfinde die Gesellschaft ins­gesamt als defensiv. Sich vorzu­stellen, Wiederholungen und Ausdeh­nung von solchen Ge­scheh­nissen [...] Umso wichtiger ist das, was ihr tut.“

So ist man geneigt, bei Dietmar Lin­kes ‚Bedrohter Alltag' mit Brecht von einer Beispielgeschichte zu spre­chen, die weit über den dokumen­tarischen Charakter hinaus die sys­te­matischen Zerstörungsversuche des MfS gegen einen Aufmüpfigen zeigt. Linke war von 1971 bis 1983 Pfarrer in verschiedenen Gemeinden in der DDR, arbeitete im Rahmen seiner Tätigkeit gemeinsam mit seiner Frau mit kritischen Schrift­stellern der DDR zu­sammen, war Mitbegründer der ‚Friedenswerk­statt' in Ostberlin.

„Was ihr berichtet, beschreibt, erlebt, bekämpft und durchgestanden habt“, so schreibt Jürgen Fuchs, „betrifft viele, wenige, die es so weit betreiben wie ihr. Wenige, die es reflektieren. Wenige, die es auf den Punkt bringen. Aber es ist doch fast ein Massenphänomen. Die Wahr­scheinlichkeit, dass es zukünftig auftritt, so und anders, ist relativ hoch.“

Ein Buch, das wie kaum ein zweites das beschreibt, wessen man die DDR anklagen muss. Sie hat einen Staats­terrorismus errichtet, der sich auch dann noch gegen die Bürger richtete, die das Land erzwungenermaßen ver­lassen hatten. So wurde auch das Ehepaar Linke nach ihrer Ausbür­gerung nach Westberlin weiterhin über­wacht und stand im Fokus staatlicher Dienststellen der DDR.
Ein aufregendes und ein aufklärendes Buch, das angesichts sich ver­stärkender, ver­harmlosender Ostal­gien ein unbedingtes Muss ist, das die Systematik von staatlichem Terror und Zerstörung zeigt.

Aus dem Vorwort
von Karl Wilhelm Fricke

Das  Buch  ist nicht nur von biogra­fischem Interesse. Es ist auch und nicht zuletzt ein Zeugnis christlicher Selbstbehauptung und Opposition und damit ein belangvoller Beitrag zur Aufarbeitung der DDR-Ver­gan­genheit. Dietmar Linke war Zeitzeuge speziell der ersten Jahre nach dem Machtwechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker, der mit mancher Hoffnung auf inneren Wandel der DDR verbunden war.  Erst die dramatische Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz am 18. August 1976 auf dem Marktplatz in Zeitz, ein verzweifelter Protest gegen die Unter­drückung der Kirche, warf ein grelles Schlaglicht auf die  Wirk­lichkeit im Staat-Kirche-Verhältnis der DDR.
Daran zu erinnern, ist in einer Zeit nos­talgischer Verklärung und postdik­tatorischer Schönfärberei sinnvoll und notwendig. Darin besteht das Ver­dienst des Autors. Seinem Buch ist eine breite Leserschaft zu wünschen. Namentlich Pastoren und Pädagogen der jüngeren Generation sollten sich für die Lektüre interessieren.

Dietmar Linke
1944 in Breslau geboren. Theologie­studium an der Humboldt-Universität Berlin. 1971 bis 1978 Pfarrer in Meinsdorf/ Kreis Jüterbog. 1978 bis 1983 Pfarrer in Neuenhagen b. Berlin.
In dieser Zeit Zusammenarbeit mit kritischen Schriftstellern der DDR.
Mitbegründer der »Friedenswerkstatt« in Ostberlin. Im Dezember 1983 Ausbürgerung nach Westberlin.
Referent beim Gesamtdeutschen Institut.
1987 bis 1997 Pfarrer an der Kapernaum - Kirche in Berlin-Wedding.
Tätig als Publizist und Autor.

Das Buch wurde erstellt mit freundlicher Unterstützung durch den Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Dr. Markus Dröge und dem Berliner Landebeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR

 

veranstaltungsdatum: 

7. Oktober 2016

Lesungen: 

News: