Überzeugende Buchpremiere von Carina Göbel am gestrigen Abend im Museum im Zeughaus Vechta
Eine überzeugende Buchpremiere gab es am gestrigen Abend von Carina Göbel im Museum im Zeughaus. Gut 50 Gäste erlebten die Vorstellung ihres ersten eigenen Bandes mit Lyrik und Kurzprosa, Erinnerungsprisma. mit, der von der Jazz- und Rock-Combo des Gymnasiums Antonianum, Fungafop blue, auf gekonnte Art und Weise gestaltet wurde. Olaf Bröcker hieß die Gäste auch im Namen des Museums herzlich willkommen. In seiner Einleitung machte er noch einmal deutlich, dass Schreiben für Jugendliche ein besonderer Akt ist, der in einer ausschließlich an Erfolg und passivem Konsum orientierten Gesellschaft kaum noch einen Platz findet. Um so höher ist die Einzelveröffentlichung des Buches durch Carina Göbel anzusiedeln.
Musikalisch von mehreren Einlagen der Jazz- und Rockkomo Fugafop blue stellte Carina Göbel in zwei Durchgängen eine Auswahl ihrer Texte vor. Dem titelgebenden Abschlusstext können wir entnehmen, dass die Autorin diesen Prozess keinesfalls als für sich abgeschlossen betrachtet. In ihrem ergreifenden Bild der Regentropfen, die sich aus den Tränen der Menschen zusammensetzen und die zugleich die Fähigkeit haben, das Sonnenlicht als Prisma zu teilen und zu speichern – Regentropfen als Vereinigung von Erinnerung und Utopie – gibt sie uns Antworten darauf, warum der Regen für sie ein wesentliches, ja ein zentrales Moment des Erlebens, des Lebens ist – Regen, der ihre Texte auch bildlich in diesem Buch begleitet. Erinnerungen an erlebtes Vertrauen, an erlebtes enttäuschtes Vertrauen wer-den von der Autorin in Bilder versprachlicht, deren Kraft jeden Leser durchdringen wird. So zeigt zum Beispiel das symbolische Farbspiel in den Texten des ersten Kapitels (etwa in ‚Wellenschlange‘) auf, wie sehr es der noch jungen Autorin bereits gelungen ist, weit mehr als individuelle Sprache zu finden, Sprache, die jeden Leser erfasst, ihm die Möglichkeit bietet, mit eigenem Empfinden, eigenen Gedanken in den Text der Autorin hineinzufühlen.
Der Prozess der Reflexion des Erfahrens, Erlebens, Hörens und Sehens, das Erinnerungsprisma, ist ein schmerzhafter. Nicht zufällig durchzieht viele der Texte ein schmerzhafter Grundzug, der sich zugleich in betörende, unvergessliche Bilder umsetzt: „Ich knie nieder, erstaunt, / des Atems beraubt, / wie schön diese Figur des Todes dort liegt.“
Die Prosatexte sind in einer beinahe unterkühlten Sprache gehalten, analytisch, präzise. Nicht zufällig greift sie gelegentlich auf die Form des Märchens zurück, um, wie sie schreibt, „eine anti-märchenhafte Realität“ zu erfassen. Bei aller Verzweiflung über die Wirklichkeit bleibt das literarische Ich in einer in sich ruhenden Grundhaltung. Auch wenn der modernde Duft des Holzes in der Kurzprosa ‚Füllung‘ trotz aller ‚erfrierenden‘ Fähigkeiten des Ichs den gesamten Raum erfüllt, das Ich füllt er nicht.
Rückblickend beschreibt die Autorin den langen Prozess des Erkennens und Reflektierens in einem ihrer bemerkenswertesten Gedichte, ‚Glückspflückerin‘.
„Der erste Schritt tat weh, / denn ich konnte den Himmel sehen. / Während der Rasen meine Füße streifte, / küsste der Regen mein Gesicht.“
Welch eine Sprachkraft, welch eine Originalität an Inhalt und Form zeichnet diese junge Autorin aus. Zahlreiche Texte müssten Einzug in Schulbücher halten, müssten Gegenstand des Literaturunterrichts von Jugendlichen sein.
Carina Göbel ist es gelungen, das Gefühl einer jungen Generation in der Suche nach eigenen Positionen in dieser Welt in Literatur zu fassen. Dafür hat sie eine eigene Sprache, eigene Bildlichkeiten, eigene Formen gefunden. Die hohe Empfindsamkeit gegenüber dieser Welt in all ihrer Schönheit und Zerstörung lässt eine subtile Empfindsamkeit in ihrer Lyrik und Prosa entstehen, die auch mich als Leser schmerzt und zugleich glücklich macht, denn nach der Lektüre „spüre ich wieder / den Rasen / unter jedem nackten Zeh“.