Auch Männer dürfen weinen - Günter Nuth referierte aus 'Brandzeichen und Eisberge' in Eisenhüttenstadt
Auch Männer dürfen weinen
aus der Märkischen Oderzeitung vom 19. März
Von Janet Neiser
Eisenhüttenstadt (MOZ)
Schwerverletzte in Autowracks, Leichen nach einem Großbrand oder
blutüberströmte Kinder nach einem Amoklauf. Solche Bilder fressen sich
ins Gehirn - auch bei den Einsatzkräften von Rettungsdienst, Feuerwehr
oder Polizei. Doch viele reden nicht über diese seelischen Belastungen.
"Vor allem für uns Männer ist es tatsächlich schwer, über Gefühle zu
reden", sagt Günter Nuth, Autor, seit etwa 30 Jahren Feuerwehrmann in
Düsseldorf und bereits 14 Jahre Helfer für Helfer mit Spezialausbildung
in Psychotraumatologie in einem Einsatznachsorgeteam im Ruhrpott.
Kürzlich gab der 57-Jährige seine Erfahrungen und auch Gefühle in
Eisenhüttenstadt weiter - im Rahmen der Fortbildung "Stressbewältigung
nach belastenden Ereignissen", die das Einsatznachsorgeteam (ENT) des
Landes Brandenburg in der Landesfeuerwehrschule durchführte. Nach Nuths
Auffassung ist es dringend erforderlich, mehr Aufklärung und Hilfe auf
dem Gebiet der Stressbewältigung für Rettungskräfte anzubieten.
Bezüglich der speziellen Einsatznachsorgeteams herrsche bundesweit noch
immer eine Diaspora. In vielen Kommunen laufe diese Arbeit "nur
nebenbei". "Da muss auch mehr Geld zur Verfügung gestellt werden", sagt
er. "Das ist für unsere Gesundheit und Arbeitsfähigkeit wichtig."
Dass er vor allem über die Probleme von männlichen Einsatzkräften
spricht, hat einen Grund. "Das ist noch immer eine Männerdomäne", betont
Nuth. Bundesweit gebe es 1,4 Millionen Feuerwehrleute, nur 0,5 Prozent
davon seien Frauen. Bei Rettungskräften liege der Frauenanteil zwar bei
sechs Prozent, aber insgesamt kommen doch mehr Männer bei Unfällen,
Bränden und Naturkatastrophen zum Einsatz und mit Opfern in Berührung.
Zudem täten sich Frauen tatsächlich leichter, über ihre Gefühle zu
reden, glaubt er. "Sie setzen sich zusammen, sprechen über Erlebtes und
weinen auch. Männer schlucken oftmals nur und sagen, wenn man sie nach
ihrem Befinden fragt: Da muss ich jetzt durch." Dabei sei es völlig in
Ordnung, wenn auch sie ihren Gefühlen mal freien Lauf lassen würden.
Auch Männer dürfen schließlich weinen.
Genau aus diesem Grund
reist Günter Nuth auch mit seinem Buch "Brandzeichen und Eisberge"
durchs Land. Darin schildert er Einsätze, bei denen er mit neuem Leben
und Tod in Berührung kam, er schreibt über "Fleischfetzen",
Organentnahmen, Verbrennungen beim Liebesspiel, über seelische Berg- und
Talfahrten. "All diese Situationen erkennt man wieder", sagt Uwe Black
(27), Feuerwehrmann aus Neuenhagen und ehrenamtlicher ENT-Mitarbeiter.
Er kennt die Schattenseiten des Daseins als Helfer in Notsituationen.
"Aber das lässt man vor Ort nie an sich heran, da schaltet man das
Gehirn ab." Viele der traumatischen Bilder verfolgten einen aber bis in
den Schlaf. Aus diesem Grund sei das ENT so wichtig. "Wir wollen
helfen", sagt er. Aber das müsse in die Köpfe der Leute rein.
Über die positive Resonanz auf Nuths Besuch bei den Einsatzkräften von
Eisenhüttenstadt über Frankfurt, Fürstenwalde bis Neuenhagen freut sich
Susanne Deimling, Diplom-Psychologin und Leiterin des ENT Brandenburg.
"Er hat den richtigen Ton getroffen", sagt sie. Vielleicht hat er auch
in so manchem Mann etwas bewegt, der sich nach dem nächsten
Unfalleinsatz doch mit einem Kumpel über das Erlebte unterhält und
merkt, dass er nicht allein ist.
Freitag, 19. März 2010 (08:00)