Autobiographisch -Yilmaz Holtz-Ersahin

Autobiographisch
Yilmaz Holtz-Ersahin

Die Berge meiner Kindheit sind immer noch in meinem Kopf präsent und so hoch und so unerreichbar wie sie damals vor fünfzig Jahren mir erschienen.
Seit meinem zweiten Lebensjahr bin ich mit den Bergen vertraut. Große Menschen haben sie bestiegen, ich habe sie wie eine Schildkröte erkrabbelt, langsam die Berge hoch und runter, gemütlich mit meditativen Pausen.
So gelangte ich auch als ganz kleiner Mensch in die Freiheit auf die Spitzen dieser wunderschönen Berge, die acht Monate lang mit Schnee bedeckt sind. Damals wollte ich sie im Winter erkrabbeln und wieder herunterrutschen, ich wollte sie im Frühling erkrakseln und wieder herunterlaufen, im Sommer und Herbst zu jeder Tages- und Nachtzeit besteigen. Immer wollte ich auf den Bergspitzen sein, die über dreitausend Meter hoch sind, und von dort aus auf unser klitzekleines Dorf mit nur vierzig Häusern, den umliegenden Dörfern und der größten Stadt unserer Gegend hinunterschauen. Verschmelzen wollte ich mit den Wolken, die ab zweitausend Meter die Berge kuscheln und verstecken.
Meine Oma, Mutter und meine fünf Schwestern gaben mir die Liebe und Geborgenheit und das Gefühl der Unbefangenheit.
Meine Onkel groß und klein und so viele Männer aus meiner Verwandtschaft grenzten mich in meiner Freiheit und meinem selbstbestimmten Leben ein. Mein Großvater jedoch nicht – er liebte mich so, wie ich war.
Als Kind beobachtete ich die klitzekleinen Vögelein und dachte dabei: „Warum kann ich nicht fliegen! Warum kommt dieser kleine Vogel so hoch in die Lüfte und ist dort so frei, kann selber entscheiden, in welche Richtung es mit dem Leben schwingt.“ Ich dachte, wenn ich auf der Spitze der Berge bin, werde ich wie ein Vogel sein und in die Freiheit fliegen.