Begeisterte Besprechungen von 'Winterreise-Abschluss' in der Warflether Kirche mit Tichmann und Bode


Tenor und Pianistin verzaubern Publikum

Interpretation von Schuberts "Winterreise" in der Warflether Kirche sorgt für staunende Gesichter

Bei einem Konzert von Schuberts "Winterreise" in der Warflether Kirche gab es so einige Momente, die das Publikum in Begeisterung versetzten. Beifall, Staunen, selbst ungläubliges, wohl aber anerkennendes Kopfschütteln über die Darbietung der Künstler waren nur einige Reaktionen des Zuhörer.

Von Georg Jauken
Warfleth.

Die Stimmung in der Kirche ist heiter, die Gesichter der Zuhörer strahlen, ihre Augen leuchten, kaum dass der letzte Ton verklungen ist. Dann bricht er los, der langanhaltende, begeisterte Applaus, begleitet von Bravo-Rufen für Pianistin Nina Tichman und vor allem für den jungen, hochbegabten Tenor Simon Bode. "Es war wunderbar", "wunderhübsch" und "gut, dass wir hergekommen sind" sind nur einige der Kommentare aus dem Publikum. Manche Zuhörer wenden sich vor dem Verlassen der Kirche direkt an Simon Bode, würden am liebsten eine CD mit der Aufnahme des Konzerts oder seiner ganz frisch eingespielten Brahms-CD mit nach Hause nehmen. Am Ende lassen sie sich wenigstens noch ein Autogramm geben oder sagen einfach nur: "Vielen Dank".

Simon Bode hat die Zuhörer überzeugt, die weiche Stimme, die hervorragende Artikulation, die Gestaltungskraft, mit der er den Liedern ein individuelles Gepräge verleiht, haben sie begeistert. Auch Veranstalter Reinhard Rakow, der während des Konzerts immer wieder kopfschüttelnd dasitzt, als könne er es nicht fassen, wie der Tenor die vollen, warmen Töne mit ebenso leichter, strahlender Stimme singt wie die dunkel gefärbten. "Er gilt als der neue Wunderlich", sagt Rakow später. "Ich kann das nur unterstützen. Er ist besser als Wunderlich." 20 mal habe er Schuberts Winterreise wohl schon von unterschiedlichen Interpreten gehört. Dann kam Bode. "Er toppt sie alle."

So mag die Stimmung in der Warflether Kirche so gar nicht zu dem passen, wovon die "Winterreise" handelt. Der Zyklus aus Gedichten von Wilhelm Müller (1794 - 1827), deren Vertonung Franz Schubert (1797 - 1828) ein Jahr vor seinem Tod vollendete, erzählt in 24 Liedern von unerfüllter Liebe, von Einsamkeit, Erinnerungen, Kälte, Dunkelheit, Trauer und Schmerz. Doch niemand spricht nach dem Konzert davon, dass der junge Tenor so sehr bei der Musik gewesen, so sehr in seinem Gesang aufgegangen, so gut genährt und gekleidet und leichtfüßig dagestanden ist, dass man keinen Augenblick lang auch nur in die Versuchung geraten konnte, zu glauben, dass er all jenes Leid, von dem er singt("Es brennt mir unter beiden Sohlen"), selbst verkörperte: Nicht das Verlassen der Geliebten, bei Nacht, zu Fuß, im Winter und mit unbestimmten Ziel ("Die Liebe liebt das Wandern, Gott hat sie so gemacht, von einem zu dem andern, Fein Liebchen, gute Nacht"), nicht die quälenden Erinnerungen an die heitere Welt des Frühlings, nicht die Entbehrung, den Trost in der Einsamkeit, nicht die vergebliche Suche nach Geselligkeit oder gar dem ersehnten Tod mit dem Friedhof als Ruhelager. Die Rast ("Nun merk' ich erst wie müd' ich bin, da ich zur Ruh' mich lege"), die Rastlosigkeit, um die es zwischendurch geht, würde man ihm vielleicht abnehmen, aber ansonsten hat Bodes Erscheinung, seine bewegliche, unmittelbare und einfühlsame Stimme das Publikum weit jenseits des Inhalts der Texte völlig in den Bann gezogen.

Moderne Übergänge am Klavier

Nina Tichman am Klavier hat es verstanden, die jeweiligen Stationen dieser Winterreise mal lyrisch leicht ("Die Post"), mal empfindsam, bisweilen heftig zu begleiten, ganz so wie es die Kompositionen erfordern. Der Übergang des Klavierparts von "Auf dem Flusse" zu "Rückblick" ist ihr überraschend modern geraten. Insgesamt wird auch ihr Part der ernst-schwermütigen "Wintereise" vom Publikum mehr als nur wohlwollend aufgenommenen.

Dann kommen sie dann alle nochmal nach vorne, um die Ovationen entgehen zu nehmen: Nina Tichman und Simon Bode sowieso, aber auch Andreas Mäder, der zum Auftakt der vierstündigen Veranstaltung "Thema und Variationen für Flöte" über Schuberts "Trockene Blumen" zu Gehör brachte, und der Bremer Professor Dr. Dieter Richter für seinen Vortrag über das Wandern, das - den Handwerksburschen abgeschaut - in der Romantik als Chiffre einer höheren, poetischen Welterfahrung und zugleich als das Sinnbild des vergänglichen Lebens galt.

© Copyright Bremer Tageszeitungen AG Weser-Kurier Datum: 13.12.2011

----

Ewiger Wanderer findet vorübergehendes Zuhause --
Schubert-Abend in Konzertkirche Warfleth –
Dreiteilige Hommage an „Die Winterreise"

VON ITTE JAKOB

Berne Schubert in vereinfachter Charakteristik: Das ist der ewige Wanderer, der nie nach Hause und zu sich kommt. Doch in Warfleth, in der kleinen Konzertkirche am Weserdeich, fand er ein Zuhause, jedenfalls auf Zeit. Das gesamte umfangreiche Werk für Violine und Klavier ist hier schon zu vielschichtigem Leben erweckt worden. Und vor allem: die Winterreise! Ein ganzes Jahr stand sie in der Gemeinde Berne musikalisch und literarisch auf dem Programm – zum Abschluss in einer dreiteiligen Hommage von mehr als fünf Stunden.

Die Ansprache zu Beginn stellte allerdings die Zuhörer auf eine harte Probe. Der über 15-minütige analytische Text der Schriftstellerin Elfriede Jellinek über den Komponisten, die ihn „als ein Rätsel, das Schubert heißt", bezeichnete, blieb in seiner grotesk-verfremdenden Art verschlossen.

Pianistin Nina Tichmann begann mit der frühen Sonate D 568 in Es-Dur, nahm sie erstaunlich pathetisch und folgte damit möglicherweise Schuberts Verehrung für Beethoven. Mit dem Lied „Trockne Blumen" aus der „Schönen Müllerin" trat der junge Tenor Simon Bode erstmals an diesem Abend auf. Sein warmes Timbre und seine Ausstrahlungskraft weckten bereits die Spannung auf den Zyklus „Die Winterreise" im dritten Teil.

Doch zunächst spielte Andreas Mäder, stellvertretender Soloflötist im Staatsorchester Oldenburg, mit Nina Tichmann Thema und Variationen D 802 zu „Trockne Blumen". Dem melancholischen Lied als Thema folgen sieben zum Teil halsbrecherische Variationen sowohl für die Flöte als auch für das Klavier. Andreas Mäder überzeugte durch eine frappierende Technik.

Im zweiten Teil vermittelte Prof. Dr. Dieter Richter, Germanist und Geschichtsforscher, einen hoch spannenden Überblick über die Metaphorik des Reisens bei Wilhelm Müller, dem Dichter der Winterreise. „Wie wehleidig er doch war", bemerkte Richter erbarmungslos zu dem depressiven jungen Wanderer. Und Schubert selbst äußerte sich: „Ein Kranz schauriger Lieder". Der Bogen der Analysten und Deuter spannte sich in fundierter Farbigkeit bis zu Hermann Hesse und Peter Härtling.

Nina Tichman begleitete im Zyklus in des Wortes ureigenster Bedeutung einen begnadeten Sänger: Sie wanderte an der Seite des glücklosen Gesellen, litt und weinte mit ihm, suchte wie er nach der Straße, die „noch keiner ging zurück". Simon Bode war die erschütternde Inkarnation des schwermütigen Jünglings, mit seinem warmen Tenor, der alle Gefühle mitlebte. Das Publikum verharrte lange schweigend, ehe die nicht enden wollenden Bravorufe bei Interpreten und Hörern für Entspannung sorgten.

Nordwest-Zeitung 12.12.2011