Dea Sinik - Hast du es dir so vorgestellt (Antirassimsusaktion - Vor allem anderen bin ich Mensch)

Hast du dir es so vorgestellt,
Majko,
Als dein Weg von formlosen Boden gepflastert wurde,
Jeder Schritt ein Wagnis,
zähltest du nur leichtfüssig die Schritte,
Die Wagnisse hätten alles entstellt.
Blasse Konturen rahmten die Humboldtstraßen,
Sie zerliefen zu Beginn ganz trennscharf.
Ein Gefühl der Tiefe muss sich erst einstellen,
hast du dich das gefragt?
Aus dem Asphalt quellen
Formblätter
Artikel {diese Hinterlistigen}
Anerkennungsverfahren.
Aber in deiner Tasche roch es noch nach Sesam und Benzin.

Hast du es dir so vorgestellt,
Majko,
Als dein Blick voller Verwunderung alles abtastete
wie eleganter Samt in Baumwipfeln.
Welche Farbe hast du in den Fassaden erkannt,
die dich an nackte Fassaden des Südostens erinnerten?
Diese Fülle an Entblößtem können nur die da unten ertragen.
Die Bismarckstraße kann es nicht nachempfinden,
noch hat sie es zu wagen versucht.
Versucht hat sie eigentlich gar nichts,
Sie war einfach da
und du empfingst sie mit jadefarbenen Pupillen.


Meine Mutter erinnert mich an Orpheus,
Sie wäre eine Orpheus*in

Mit siebenundzwanzig Unschuldsjahren in ihr unbekannten Straßen
in denen eine ihr unbekannte Zunge hallt
Selbst in Höhen und Tiefen missverständlich
Sät sie                             Leerstellen,
gefüllt         mit Kontrollverlust
und entfleuchten Worten wie Frau Putz,
während alle lachen,
Süß hätte sie das gesagt.
Das ernstgenommen Werden verhalt im Gaumenzäpfchen.
Es sind raue Worte, sie gleiten nicht im Rachen,
Sie kratzen
stellen sich quer.


Hast du es dir so vorgestellt,
als zurückblicken keine Option mehr war,
aber die Fülle von vollen Benzintanks und Fahrten,
deren Stunden sich in Leichtigkeit auflösten,
überzogen die Autoluft mit einer süßlichen Prise Bitterkeit.
Wenn wir jetzt gemeinsam die Straßen streifen
reift in mir die Bewunderung heran,
für all deine Schritte,
für all deine Sorglosigkeit,
die Sätzen standhielt
wie
„Ihre Tochter knallt die Kloschüssel zu laut“
oder
„Müssen Sie ihr Auto vor meinem Fenster parken,
der Anlasser weckt mich morgens“.
Oberflächliches Unverständnis hast du überwunden,
auch wenn es nicht leichtfüssig war.
Die Schwere des Tages setzte sich nicht ab in dir,
welch Geschenk.

Orpheus*in verstreute den Rückschritt im Frohsinn,
argwöhnische Blicke zerfielen in ihrer Bosheit,
Ich hoffe nun, sie konnten ihr nichts anhaben,
Doch heute legt sich meine Sanftmut
um ihre langsamen Schritte
um ihre gebeugte Haltung.
In ihren müden Nachmittagen spüre ich was nach,
Es tastet nach mir,
Opfer Sein seiner Demut
Lass ich zu
und die Sehnsucht riecht nach Abgasen und Sesam.
 

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