In der Arbeit: Gerhard Gröner - Rotes Donaumoos. Eine Familiensaga

Gerhard Gröner

Rotes Donaumoss

Eine Familiensaga

Geest-Verlag 2014

 

Der Roman ist eine seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert spielende Familiensaga aus dem ‚Roten Donaumoos‘. Auch wenn der Autor einen fiktiven Ort (Hattelfingen) und fiktive Personen ‚erfindet’, so hält er sich eng an die jeweiligen historischen Gegebenheiten, entwirft eine Familiengeschichte analog zum gesellschaftlichen Geschehen des 20. Jahr-hunderts.
Ausgangspunkt des Geschehens ist das ‚Rote Donaumoos‘ auf der Schwäbischen Alb. „Unauffällig an den Aufstieg zur Schwäbischen Alb geklebt duckten sich zwei Dutzend Bauernhäuser einstöckig unter den scharf pfeifenden Westwinden. Keine Wand, kein Dach schützte wirkungsvoll vor überraschenden Temperaturstürzen und Stimmungs-schwankungen im kargen Weiler Hattelfingen. Männer und Frauen fühlten sich dem wechselhaften Klima ausgeliefert. Dennoch trotzten sie laut, als müssten sie unliebsame Geister verscheuchen.“
Die Kargheit und Ärmlichkeit der Region prägt den Charakter der Protagonisten. Liebe, Hass, Schaffensfleiß, aber auch Starrsinn in privaten und im gesellschaftlichen Denken prägt ihr Handeln. Ausgangspunkt der Familiensaga sind der Knecht Hans Geyer und die Magd Apossonia Renzer, die durch verschiedene glückliche Umstände nach dem Ersten Weltkrieg in den Besitz des Kopfberghofs kommen und diesen fortan als Bauern be-wirtschaften.
Der Autor lässt das Paar und die nächsten Generationen der Familien die politischen und wirtschaftlichen Situationen des Jahrhunderts durchleben. Dabei gestaltet er ein spannendes Wechselspiel zwischen gesellschaftlichen Erleben der Protagonisten und eigenem gesell¬schaftlichen und politischen Agieren. Hans, der als Soldat die Dramatik, das Sterben und die Vernichtung des Ersten Weltkriegs am eigenen Leib erfuhr, fühlt sich dennoch vom Nationalsozialismus angezogen, während Apossonia erhebliche Zweifel hegt: „Hans, erfüllt es dich mit Stolz, wenn diese Partei, deren Versammlung du heute Abend besuchen möchtest, demnächst Plaketten mit dem Posthorn auf den Briefkästen abschrauben lässt und durch Hakenkreuze ersetzt? Macht es dich stolz, wenn du dann vor jedem Briefkasten stehen bleiben musst, um, wie dir befohlen, die Hacken zusammen¬hauen und ‚Heil mein Führer’ schreien musst? Macht es dich im Gegensatz dazu nicht stolz, ein erfolgreicher Bauer zu sein, ein freier Mann auf eigener Scholle? Frei in wenigen Jahren vom getilgten Kredit, frei von vielerlei Zwängen durch Politik, die von außen auf uns wirken könnte? Frei und stolz, sich nur der jeweiligen Jahreszeit und dem Wetter beugen zu müssen?
Macht es dich nicht stolz, unabhängig von jeglichen Ideologien zu sein? Warum willst du nicht ein stolzer Bauer auf dem Kopfberghof und ein gerechter, einfühlsamer Familien¬vater sein?“
Hans wird sogar Ortsgruppenleiter der Partei, nach Ende des Krieges mit einigem Geschick entnazifiziert. Am Ende des Krieges geht ein Riss durch die Familie, die inzwischen drei Kinder hat, denn der Vater hat aus den furchtbaren Verbrechen der Nationalsozialisten nichts gelernt, bleibt Nazi. Die Mutter behält ihre pazifistischen Positionen, flüchtet angesichts der familiären Auseinandersetzungen immer stärker in Gebete. Der Sohn Jakob entwickelt sich vom freiwilligen Wehrmacht-Soldat zum über-zeugten Kriegsgegner. Anna, der Zwillingsschwester, gelingt es auch nicht, den Vater von seinen Positionen abzubringen. Schorsch, das dritte Kind, weiß nicht, wie er sich zwischen all den Positionen verhalten soll, versucht jeden zu verstehen und erfährt so von niemandem Akzeptanz. So bilden sie eine Familie, aber sind „doch fünf unterschiedliche erwachsene Menschen, die alle auf demselben Kopfberghof in Hattelfingen zusammen arbeiten und leben“ müssen, denn „der Krieg hatte alle anderen Arbeitsplätze im weiten Umkreis für die nächsten Jahre zerstört“.
Mit einfühlsamer Darstellung entwickelt der Autor das Geschehen in den nachfolgenden Jahren. Die Risse in der Familie sind nicht zu kitten. Anna beginnt in Ulm ein Verhältnis mit einem schwarzen amerikanischen Soldaten und zieht schließlich in die USA. Auch Jakob heiratet und gerät mit dem Vater in einen fürchterlichen Streit, da dieser ihm den Hof nicht überschreiben will, sodass er mit seiner Frau und dem inzwischen geborenen Kind fortzieht und eine gut bezahlte Arbeit bei der AEG in Bad Cannstatt findet. Doch sein offensichtlich gelungener neuer Weg verläuft irgendwann im Alkohol. Georg heiratet und führt nach dem Tod der Eltern den Hof weiter, begeht schließlich in all seiner persönlichen Unsicherheit Selbstmord. Seine Witwe verkauft den Hof.
Immer weiter verzweigt sich das Familiengeschehen. Es folgt die Geschichte von Thomas, dem Sohn von Jakob. Veränderungen erfolgen, die auch stets ein Spiegel des gesellschaftlich-politischen Geschehens sind.
So gelingt es dem Autor, ein Geschichtsbuch des 20. Jahrhunderts zu schreiben. Im Prolog des Romans bringt Thomas, der Enkel von Hans, seine Tochter zum Abflug zu ihrem Einsatz nach Afghanistan. Erneut droht ein Krieg die Familie zu zerreißen.
Und wieder stellt sich – wie im gesamten Roman – die Frage, ob die Protagonisten tatsächlich Handelnde sind oder nur Getriebene des gesellschaftlichen Geschehens. Thomas, selbst Kriegsdienstverweigerer und Pazifist, sagt zu seiner ebenfalls pazifistischen Frau: „Gabriela, werde in deiner Verzweiflung nicht ungerecht. Jetzt ist die Stunde, unser Kind zu begrüßen, wie immer wir sie auch vorfinden. Wir sollten uns freuen, sie lebend wiederzusehen. Vielleicht hat Alexa die Gene ihres Urgroßvaters Hans geerbt, der war fanatischer Soldat und hat ihr seine Orden vererbt. Familiengeschichte geht auch an uns nicht spurlos vorbei.“
Ein Roman, den man auch aufgrund seiner sprachlichen Qualität nicht aus der Hand legen mag. Spannung, Information und zugleich auch Erinnerungen an eigene Familien-geschichte bieten dem Leser einen fesselnden Lesestoff.