Der Regen küsst ihr Gesicht - Heute Buchpremiere von Carina Göbel 'Erinnerungsprisma' im Museum im Zeughaus in Vechta

Der Regen küsst ihr Gesicht
Versuch eines Nachworts

Die Suche nach den Antworten über ihre Positionen in dieser Welt, dieser Gesellschaft ist das zentrale Anliegen des literarischen Schreibens Jugendlicher. Als Verleger genieße ich das Privileg, den Prozess dieser Auseinandersetzung begleiten zu dürfen, er-halte damit auch die Chance, immer wieder neu Sichten auf die Welt zu erleben, meine eigene Sicht erweitern zu können. Carina Göbels Texte aus dem ‚Erinnerungsprisma‘ gehören zu diesen wichtigen Chancen.
Dem titelgebenden Abschlusstext können wir ent-nehmen, dass die Autorin diesen Prozess keinesfalls als für sich abgeschlossen betrachtet. In ihrem er-greifenden Bild der Regentropfen, die sich aus den Tränen der Menschen zusammensetzen und die zu-gleich die Fähigkeit haben, das Sonnenlicht als Pris-ma zu teilen und zu speichern – Regentropfen als Vereinigung von Erinnerung und Utopie – gibt sie uns Antworten darauf, warum der Regen für sie ein wesentliches, ja ein zentrales Moment des Erlebens, des Lebens ist – Regen, der ihre Texte auch bildlich in diesem Buch begleitet. Erinnerungen an erlebtes Vertrauen, an erlebtes enttäuschtes Vertrauen wer-den von der Autorin in Bilder versprachlicht, deren Kraft jeden Leser durchdringen wird. So zeigt zum Beispiel das symbolische Farbspiel in den Texten des ersten Kapitels (etwa in ‚Wellenschlange‘) auf, wie sehr es der noch jungen Autorin bereits ge¬lungen ist, weit mehr als individuelle Sprache zu finden, Sprache, die jeden Leser erfasst, ihm die Möglichkeit bietet, mit eigenem Empfinden, eigenen Gedanken in den Text der Autorin hineinzufühlen.
Der Prozess der Reflexion des Erfahrens, Erlebens, Hörens und Sehens, das Erinnerungsprisma, ist ein schmerzhafter. Nicht zufällig durchzieht viele der Texte ein schmerzhafter Grundzug, der sich zugleich in betörende, unvergessliche Bilder umsetzt: „Ich knie nieder, erstaunt, / des Atems beraubt, / wie schön diese Figur des Todes dort liegt.“
Die Prosatexte sind in einer beinahe unterkühlten Sprache gehalten, analytisch, präzise. Nicht zufällig greift sie gelegentlich auf die Form des Märchens zurück, um, wie sie schreibt, „eine anti-märchen¬hafte Realität“ zu erfassen. Bei aller Verzweiflung über die Wirklichkeit bleibt das literarische Ich in einer in sich ruhenden Grundhaltung. Auch wenn der modernde Duft des Holzes in der Kurzprosa ‚Füllung‘ trotz aller ‚erfrierenden‘ Fähigkeiten des Ichs den gesamten Raum erfüllt, das Ich füllt er nicht.
Rückblickend beschreibt die Autorin den langen Prozess des Erkennens und Reflektierens in einem ihrer bemerkenswertesten Gedichte, ‚Glückspflücke-rin‘.
„Der erste Schritt tat weh, / denn ich konnte den Himmel sehen. / Während der Rasen meine Füße streifte, / küsste der Regen mein Gesicht.“
Welch eine Sprachkraft, welch eine Originalität an Inhalt und Form zeichnet diese junge Autorin aus. Zahlreiche Texte müssten Einzug in Schulbücher halten, müssten Gegenstand des Literaturunterrichts von Jugendlichen sein.
Carina Göbel ist es gelungen, das Gefühl einer jun-gen Generation in der Suche nach eigenen Posi¬tionen in dieser Welt in Literatur zu fassen. Dafür hat sie eine eigene Sprache, eigene Bildlichkeiten, eigene Formen gefunden. Die hohe Empfindsamkeit gegenüber dieser Welt in all ihrer Schönheit und Zerstörung lässt eine subtile Empfindsamkeit in ihrer Lyrik und Prosa entstehen, die auch mich als Leser schmerzt und zugleich glücklich macht, denn nach der Lektüre „spüre ich wieder / den Rasen / unter jedem nackten Zeh“.

Alfred Büngen, Verlagsleiter

 

 

 

 

 

 

Carina Göbel

Erinnerungsprisma

Kurzprosa und Lyrik

Geest-Verlag 2014

ISBN 978-3-86685-473-4

72 S., 11 Euro

 

Carina Göbel, 1995 geboren, Abitur, nun Ausbildung zur

Pharmazeutisch-technischen Assitentin. Erste Schritte des Schreibens in der

Schreibwerkstatt des Gymnasiums Antonianum in Vechta.

Zahlreiche Beiträge in Anthologien, Nachwuchspreis der

Berner Bücherwochen 2013.

 

 

 

Puppens Stille

Püpp'chen auf, Püpp'chen zu,
geh ich fort, hast du Ruh'.
Seh ich dich, blickst du starr,
streifst mir nicht mal mehr mein Haar.

Dein Mund so leer,
du sprichst nicht mehr.
Bist du versteinert?

Du dumpfes Holz,
schaust voller stolz,
auf mich nieder,
wirst leben nie wieder.

Püpp'chen auf, Püpp'chen zu,
geh ich fort, hast du Ruh'.