Emma Lüers - Herbsttag 15.57 Uhr (aus ihrem neuen Band 'Ein Spaltbreit Freiheit')

Herbsttag, 15:57 Uhr



In einen weichen Nebelregen eingehüllt ziehe ich die Schultern hoch. Was soll man groß rumdrucksen: Es ist kalt. Und während meine Ohren jedes kleinste Blattrascheln in einen Chor aus Wind und Materie einbetten, glitzern immer mehr Nieseltropfen auf meinem Mantel. Ich warte schon ein paar Minuten.
Mit einem stärker werdenden Wind krachen die Wolken oben leise auf. Der ganze Tag hat sich so an das Grau gewöhnt, dass die tief stehende Sonne, die aus den Löchern in der Tapete über uns direkt in die Regentropfen darunter guckt und dafür sorgt, dass Menschen stehen bleiben. Die Hand hoch in die Sonne halten, um sie bewundern zu können. Und mit starkem Wind und deutlich mehr kaltem Regen in meinem Gesicht schaue ich ihnen zu, denn sie haben die Sonne vermisst. Und ich muss anfangen zu lächeln, weil ich es auch getan habe. Ich halte meine gespaltenen Finger zu ihr hoch und betrachte sie. Ein Blinzeln später fügen sich die Schaumkronen von Wolken wieder aneinander. Die Sonne verschwindet und zusammen mit den leuchtenden Menschen geht auch mein Lächeln davon.