Gisela Breidenstein - Der Wegwerfer
Der Wegwerfer
Ein Mann liebte es, wenn er eine Tube oder Flasche aufgebraucht hatte, die leere Hülse wegzuwerfen. Er freute sich an dem Gefühl, etwas fallen lassen zu dürfen. Seit es Container für Glas gab, ließ er lustvoll leere Flaschen durch die Öffnung sausen und genoss das Klirren, wenn sie aufschlugen. Das führte so weit, dass er auch Behälter wegwarf, die noch gar nicht ganz leer waren. Wenn er über eine Brücke ging, war er in Versuchung, seine Tasche über das Geländer fallen zu lassen. In der Kirche auf der Empore musste er an sich halten, das Gesangbuch nicht über die Brüs¬tung rutschen zu lassen. Das Aufschlagen des Buches unten im Kirchenschiff hätte ihm gefallen, aber er be¬herrschte sich. Im Konzert ließ er manchmal heimlich seine Garderobenmarke fallen. Das konnte ja jedem passieren und war nicht so laut.
Durch seine Gewohnheit, immer wieder irgendet-was fallen zu lassen, kam es schließlich häufiger vor, dass ihm die Dinge ganz von selbst aus der Hand glit-ten. Es gab Tage, da konnte er nichts mehr festhalten. Was er auch in die Hand nahm, fiel wieder heraus. Es kam so weit, dass er manchmal die Empfindung hatte, er müsse die Dinge sofort loslassen, um sich nicht daran zu verbrennen. Oft blieb er nun auch bei Tage im Bett liegen, um nichts handhaben zu müssen. Er nahm zu und fühlte nun die Schwere seines eigenen Körpers, der ihm zur Last wurde; nur im Bett fühlte er sich leicht und geborgen unter der Daunendecke, die er bis zum Kinn hochzog. Er konnte sich nicht mehr versorgen und dachte darüber nach, wie er sich entsorgen könnte.
Eines Tages hatte er einen Einfall. Er schleppte sich zum Fenster, öffnete es und stieg mit großer Anstrengung auf das Fensterbrett. Er ließ sich einfach vornüberfallen.