Hannelore Hoger und Nina Tichmann bildeten den krönenden Abschluss der 4. Berner Bücherwochen / NWZ berichtet
Stehende Ovationen nach bewegender Lesung
Schauspielerin Hannelore Hoger
und Pianistin Nina Tichmann begeistern in Warflether Kirche
Mit der Lesung haben die vierten Berner Bücherwochen ihren krönenden Abschluss gefunden. Hoger und Tichmann wirkten wunderbar zusammen.
Dass selbst der weiteste Weg, das Schlangestehen beim Einlass und die in der Pause nötige Geduld sich gelohnt hatten, daran zweifelte keiner. Über drei Stunden hinweg präsentierten sich Hoger und Tichman als faszinierendes Gespann anspruchsvoller Unterhaltung, das mit einem fein komponierten Mix aus Literatur und klassischer Musik die Zuhörer in seinen Bann zog. Das Ineinandergreifen der einzelnen Stücke — von Balzac, Blixen, Walser und Tucholsky hier, von Schubert, Schumann und Debussy dort – und die jeweils singuläre Interpretationskunst der beiden Vortragenden fügten sich so glückhaft organisch, dass als Summe Freude pur sich einstellte, einstellen musste.
Hoger ist eine begnadete Vorleserin, Tichman eine ebenbürtige Pianistin. Wie die eine ihre facettenreich zwischen Kupferglanz und sonorer Schwärze changierende Stimme einsetzt, wie sie be- und entschleunigt, wie die andere, mit Dynamik, Phrasierung und Anschlags-Delikatesse Spannung aufbaut, dass jeder den Atem anhält, das sorgt Mal um Mal für magische Momente.
Drei Beispiele: In Blixens Erzählung „Der Ring“ verliert eine junge Frau, frisch vermählt, den Boden unter den Füßen. Sie bemerkt, dem Mann ist sein Beruf wichtiger als sie, und sie begegnet einem Anderen, animalisch und gesetzlos. Hoger liest leise und sie verschleppt, kostet Silben aus, lässt Gedanken wirken. Tichman antwortet mit dem Andantino aus Schuberts A-Dur-Sonate, mit ebensolcher Zartheit und Zerrissenheit, mit genau der Verzweiflung, Verwirrung und Verlorenheit, die Hoger eben noch mit Blixens Worten inszenierte. Dann, als Kontrast, „Lottchens Beichte“. Den Tucholsky-Text nutzt Hoger gern zum Beweis der riesigen Weite ihres schauspielerischen Spektrums. Da wird gelockt, gestottert und gedruckst, gelacht und gekiekst, dass man Sünderin und Beichtvater leibhaftig vor sich wähnt, und Tichman fasst Häme und Gelächter in Debussys köstliche „Cakewalk“-Töne.
Und dann die Zugabe! So anrührend, so eindringlich hat man Andersens „Mädchen mit den Schwefelhözern“ nie zuvor gehört. Hoger beginnt allegro, verlangsamt stetig bis zu der Stelle, wo des Mädchens Stern in den Himmel flog. Flog? Nein: „Flooooooog“, ein unendliches Glissando, fast schon gesungen. Effektpause, und der Rest beinah geflüstert. Und Tichman? Sie gibt Bach, „Jesu, meine Freude“. Es hätte sich geziemt, ins Knie zu sinken.