Im Nordkurier heute über Marianne Pumbs 'Unter uns Pastorentöchtern ...' zu lesen

Artikel vom 16.01.2010

Geistesblitze und Mut zur Offenheit

 

Eine öfter gebrauchte Redewendung, die auch unter Männern schmunzelnd
Gebrauch findet, drückt wohl immer auch etwas Intimeres aus, was man sonst
nicht so einfach dahersagen würde, wird so eingeleitet: "Also unter uns
Pastorentöchtern gesagt..." Wer Marianne Pumbs leise-leicht
erzählendes Büchlein in sich aufgenommen hat, wird diese Redewendung
zumindest eine Weile stecken lassen, denn hier geht es substanziell nicht nur
um zwei differierende Modelle von Pastorentochter. Was scheinbar schlicht im
Selbstverständnis eines Mädchens, einer Heranwachsenden und einer
willensstarken Frau erzählt wird, geht bisweilen an die Nieren. Wer so
ohne erhobenen Zeigefinger ulkige und quälende Kindheitserlebnisse zu
Papier bringt, ist nicht automatisch eine große Schriftstellerin, doch
gibt es Stellen hoher sprachlicher Verdichtung, wenn etwa das Liebesleben
einzelner Körperglieder geschildert wird. Da hat die kleine Zehe mehr
Autonomie als der Körper, an dem sie hängt, im DDR- Staat. Zufall?
Nein. Marianne Pumb kommt von drei Gedichtbänden zum ersten Roman.
Überaus authentisch erscheinen die Drangsalierungen im real existierenden
DDR-Sozialismus und sind zugleich mit der Hauptakteurin wunderbar erleichtert
durch ihren Trotz, durch ihre Geistesblitze, den Mut zur Offenheit, auch ihr
Gottvertrauen. Wer leicht am Wasser baut, wird sicher nach dieser Lektüre
zwei, drei Wasserburgen mehr sein Eigen nennen und dennoch am Ende heiter aus
dem Staatskindergarten entlassen, der alle seine Bürger als
unmündiges Eigentum und als Individuum für wertlos erachtete. Wer im
goldenen Westen aufgewachsen ist, fern vom Leben im Arbeiter-und-Bauern-Staat,
und wer in der DDR auf der - nach diesem Buch möchte man fast sagen
langweilig - angepassten Seite des Lebens stand, der erfährt hier
unheimlich viel mehr vom wirklichen Leben zwischen Friedland, Neustrelitz und
Berlin damals und heute. "Unter uns Pastorentöchtern..." sagt das
unsagbare Unerhörte des Alltags in der Diktatur. Wilfried BaganzMarianne
Pumb: Unter uns Pastorentöchtern... Geest-Verlag, Vechta. 136 Seiten, 11
Euro. ISBN 978-3-86685-217-4

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Nordkurier.de am 16.01.2010