Jenny Schon - Kafka zum 99. Geburtstag
Jenny Schon
Kafka zum 99. Todestag
*3. Juli 1883 in Prag +3. Juni 1924 in Kierling, Österreich)
Was soll mir Kafka
die welt
ist schlimmer noch
als in Samsas zimmer
sie wird nicht mehr gekehrt
die käfer sind eingekehrt
in sich auf der seite
liegen sie verkehrt
nach der traumreise
ins eis
was will ich von Kafka
ich friere
nach jedem behördengang
dort kennt keiner
Kafka was woll’n Sie
von ihm
ich war bei seinem grab
die rose ist zerstäubt
die Ingeborg ihm brachte
Prag im jänner 1964
was erhoffte sie von ihm
in berlin kuschelte
er mit Dora sie brieten
spiegeleier auf haushaltskerzen
es war kalt in berlin
auch ich friere hier
was soll ich Dora
bedauern wenn die welt
ihn lagert in
bücherregalen verstaubt
wirklich
was soll er mir
in dieser welt
die untergegangen ist
auch meine lebensversicherung
versichert
kein ewiges leben
(aus: endlich sterblich, 2016, Geest Verlag;
2. Lyrikpreis der Künstlergilde 2015
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Laudatio zu dem Gedicht „Kafka“ von Jenny Schon
2. Lyrikpreis der Künstlergilde 2015
Es ist kalt in Berlin. Aber daran ist nicht allein der Winter schuld, und der Frost hält nicht nur eine Stadt in seinem Bann und läßt das lyrische Ich erschauern. Es liegt viel Totes da in diesem Gedicht, und selbst die Rose auf dem Grab des Dichters ist erfroren. Wie eine durchsichtige Eisschicht zieht sich Resignation über die in eindeutigen Bildern und in knappem Prosaton erzählten Begebenheiten aus Kafkas Leben, die ohne Rücksicht auf Zeit und Ort in angedeuteten Szenen abgerufen werden. Es ist diese feine Ironie, welche die Bitterkeit nicht scheut, trotzdem immer leise bleibt, niemals in die Nähe von Zorn und Anklage gerät, aber das Gedicht trägt, es heraushebt aus jeder Art von Gefälligkeit, es aussagestark und gültig macht und wert, mit einem Preis ausgezeichnet zu werden.