Leseausschnitt aus Karin Flörsheim: Die Wandlungen der Esther Flor (mit Erinnerungen an das Dritte Liter. Sommerfest 2008)

Leseausschnitt aus dem in Arbeit befindlichen Roman von Karin Flörsheim mirt Erinnerungen an das Dritte Literarische Sommerfest des Geest-Verlages

Karin Flörsheim

Die Wandlungen der Esther Flor

Roman

Geest-Verlag 2010

ISBN 978-3-86685-239-6

ca. 450 S.

Rückblick

Anfang November waren die Tage grau, feucht, kühl und regnerisch. Grübelnd saß Esther an ihrem Mal- und Schreib-tisch. Die Tage waren kurz geworden. Aufkommende Depressionen wurden durch Arbeiten an Bild und Lyrik möglichst verdrängt. Gegen Mittag, ganz unverhofft, wurde es am Arbeitstisch heller. Esther blickte aus dem Fenster und sah, dass die gegenüberliegende Hauswand im Sonnenlicht badete. Ein kleiner, zittriger Strahl sprang über den Tisch. Träume ich, dachte Esther und die Gedanken liefen mit dem Sonnenstrahl in eine andere Zeit.

Esther saß mit ihrem Mann an einem großen braunen Holztisch. Der Raum war mit dem köstlichen Duft von Pellkar-toffeln erfüllt, die in einer großen Schüssel dampften. Käseplatten, Brotkörbe und Salatschüsseln wurden von Inge aufgetragen. Um den Tisch saßen verschiedene Gäste, Autoren und Autorinnen mit Begleitung in Gespräche und Er-zählungen vertieft. Alfred, der Leiter meines Verlages, und seine Lebensgefährtin, Inge, hatten zum alljährlichen ‚Literarischen Sommerfest’ der Autoren eingeladen. Der Wohnraum war einfach, aber mit ausgewählten Holzschränken und Holzregalen ausgestattet und strahlte Wärme aus. Esther musste unwillkürlich an die ‚Kartoffelesser’ denken, sah das Gemälde von van Gogh in dunkelbraunen Tönen vor sich. Die Menschen auf diesem Bild, die um einen Tisch sit-zen, sind etwas verhärmt, ausgehungert. Einfache Bauern, die ein schweres Leben haben, hart arbeiten, um ihre Fami-lien schlecht und recht ernähren zu können. Hier im Wohn-zimmer gab es keine Armut. Einfaches Leben zeigte sich hier, Erdgebundenheit und Liebe zum Menschen. Alle Gäste langten herzhaft zu. Später würden noch viel mehr Autoren und Autorinnen eintreffen und diese schöne, familiäre Atmosphäre würde es nicht mehr geben. Anstrengend würden die zwei Tage mit zahllosen Lesungen und Vorträgen sein. Esther war ja nicht mehr jung. Es zehrten die Jahre, weit über siebzig, an ihrem Körper.
Der Spieker, ehemals ein Getreidespeicher, war das Veran-staltungszentrum in diesen Tagen, mitten in einem schönen Park gelegen, das Spazierengehen und Entspannen in den Pausen der Lesungen ein Genuss. Im Spieker finden auch Ausstellungen von Künstlern und Künstlerinnen statt. Im Vorhof des Gebäudes sind lange Tische und Bänke für die Pausen aufgebaut. Alfred organisiert alles und stellt selbst die Bänke und Stühle auf. Immer und immer ist er auf Trapp. Wahnsinn!. Wie schafft er das nur, dachte Esther und bewunderte seine große Kraft zum Geben. Neunzehn bis zwanzig Autorinnen werden heute Prosa und Gedichte vor-tragen. Esther wird diesmal im Verlauf des Dritten Literari-schen Sommerfestes am nächsten Tag gegen Abend Ge-dichte aus ihrem Lyrikband vortragen. Ihr Ehemann, Abel, ist schon am nächsten Morgen mit einer Tiererzählung an der Reihe. Den nächsten Tag werden wieder ungefähr zwanzig Autorinnen lesen. Es gibt Pausen und der ‚gute Geist’ des Verlages, Inge, und mitwirkende Freundinnen, werden die angespannten Menschen mit Kuchen, leckerem Mittag- und Abendessen und Getränken versorgen. Da gibt es wunderbare Gespräche im Austausch an diesen warmen, ja heißen Sommertagen und -nächten. Glücklich war Esther, wenn sich neue Bekanntschaften ergaben. Menschen, die wie sie schrieben und eventuell auch malten oder zeichne-ten, lagen ihr besonders nahe. Esther durfte von anderen Autorinnen die Prosa- oder Lyrikbände nach deren Wunsch mit ihren malerischen Arbeiten ausschmücken. Tiefe Freundschaften zu zwei Frauen hatten sich im Laufe dieses festes ergeben.