MANNHEIM, HIN UND ZURÜCK Reisezyklus von Wendelin Mangold
MANNHEIM, HIN UND ZURÜCK
Reisezyklus von Wendelin Mangold
MANNHEIM. KATHOLIKENTAG (1)
Um den Wasserturm
Haben Nomaden ihre
Zelte hingestellt.
LEBENSWEG
Nicht nur Straßen
Sind voller Schlaglöcher,
Auch unser Leben.
UKRAINE
Ich habe Honig
Aus meinem Geburtsort
Nach Deutschland gebracht.
SIBIRIEN
Hinter Schneeflocken
Schneeflocken und Schneeflocken –
Sechs Monate lang.
ZUM SCHLUSS
Seine Verwandten
Sind jetzt die Urinflasche
Und das Stechbecken.
BUILDERING ODER
FASSADENKLETTERER
Der Efeu klettert
Die Wänden hoch, hangelnd an
Dellen und Rillen.
ZUGEFRORENER TEICH
Wir laufen Schlittschuh,
Und die Fische wundern sich:
Wie ist das möglich!
RUSSLANDDEUTSCHE SCHAUSPIELER
Für Maria & Eugen Warkentin
Zwei auf der Bühne
Rufen wach das Schicksal
Unseres Volkes.
SCHNELLZÜGE
Wir mussten warten,
Vorbei brausten ICEs
Wie die Verrückten.
DER REGENTROPFEN
Er lebt gefährlich,
Er weiß nicht, wohin er fällt –
Auf Stein oder Feld.
ZUSAMMENLEBEN
Zum Vortrag von Heiner Geißler
„Was hält unsere Gesellschaft zusammen?“
Die Kerzenflamme
Ist eine Null ohne Docht,
Der nichts ohne Öl.
VERWANDLUNG
Wird es warm und taut
Der Schneemann, so wird er bald
Zu einem Seemann.
PERFEKTION
Je ruhiger der Teich,
Desto genauer werden
Die Wasserringe.
GOTTES STRAFE
Die Frau sagt: Hör auf!
Die Kinder sagen: Hör auf!
Hör nie auf! sagt Gott.
BLINDE
Der nächtliche Mond
Schwimmt auf schlafendem See.
Sind Fische blind?
WEISSE BRÖTCHEN
Beim Lesen des Buchs
„Haiku hier und heute“
Schneidet man sie auf,
Sind sie voller Lufthöhlen -
Sind Haikus Brötchen?
MONDLICHT
Herabgefallen
In den See, zerfließt der Mond
Wie gelbe Butter.
AUSREISEGEPÄCK
Bei der Ausreise
Konnte ich nichts mitnehmen –
Außer dem Russisch.
GEHIRNFALTEN
Vom vielen Denken
Liegt es im Schädelgefäß
Kraus und geschlungen.
MAGDEBURG 1991. BRAUNKOHLE
Als ich den Osten
Zum ersten Mal besuchte,
Stank es wie Furze.
MANNHEIM. KATHOLIKENTAG (2)
Priester und Laien
Liefen mir über den Weg –
Gott nicht begegnet.