Nachwort von Alfred Büngen zum Band 'Aus Farbstürzen'

 

 

Frederik Bösing
Danielle Bullermann
Pia Haskamp
Katarina Klein
Thi Quynh Anh Nguyen
Antonia Uptmoor
Lina Vaske
Maren Wegmann
Aus Farbstürzen
mit Grafiken von
Thi Quynh Anh Nguyen
und Ngoc Nguyen

Geest-Verlag, Vechta-Langförden 2015
ISBN 978-3-86685-502-1, ca. 230 S.

Nachwort

 

Über die Faszination eines jungen Schreibens
„Nichts mehr wird uns überdauern / Nur der Augenblick, der uns erstickt“ (Katarina Klein)
von Alfred Büngen

Acht junge Menschen, acht Besonderheiten des Schreibens, acht Weltsichten, acht Möglichkeiten eines anderen Erkennens von Wirklichkeit, wie man sie wohl selten in einem Sammelband erlebt.
Sprachlos steht man gelegentlich vor den Texten der jungen AutorInnen, wenn ihnen wieder einmal eine Formulierung, ein Bild gelungen ist, das es so noch nie im literarischen Bereich gegeben hat. Man sieht förmlich, wie sich bei dem einen oder anderen die „leidenschaftlich roten Schlauchbootlippen … sorglich in Falten wägten“ (Thi Quynh Anh Nguyen). Den Mut zum Ungewöhnlichen haben sie entwickelt in ihrem gemeinsamen Tun in ihrer Schreibwerkstatt, in ihrem gegenseitigen Zuhören. Hier hat man gelernt, Begriffe, Zustände, Inhalte zu erfühlen, in Wörter zu wandeln: „Wir sind eins / Perfekt, wie die Cola und der Korn in deinem Glas“. Nur mit solchem Gefühl und der Fähigkeit zum emotionalen Wortspiel ausgestattet, kann man zur überraschenden Erkenntnis kommen: „Leid ist wie Kuchen“! (Frederik Bösing). Auch wenn man nach wie vor „Hoffnung für den Sonnenuntergang“ (Lina Vaske) hegt und sich fragt, ob es Liebe ist, „wenn mein Herz losgaloppiert / wie ein an Parkinson erkrankter Hengst“, ob man es wirklich selber ist, die dem Ge¬liebten mit einer „sanften Stimme so lieblich verzerrte Laute“ (Danielle Bullermann) entlockt, sich manch einer von ihnen „in den viel zu kleinen Karton legen“ muss (Maren Wegmann), so ist die Erkenntnis für alle doch klar: „Wären Menschen wie Jahreszeiten, ich wäre ein nasskalter, verregneter, grauer Herbsttag, und du wärst die schreiende, blühende Hitze an Mittsommer im März“ (Pia Haskamp).
Nein, ein solches Sprachvermögen können wir bei Jugendlichen nicht anerziehen. Wir können ihnen, dafür sei ihrem Leiter Olaf Bröcker mehr als gedankt, nur die Chance geben, den notwendigen Raum, sich und ihre Gefühle in passende Wörter zu formen. Wir müssen ihnen allerdings auch nicht glauben, wenn sie behaupten: „Selbst die Bäume schlugen mit ihren Zweigen nach mir, wütend über mein Dasein“ (Maren Wegmann). Wenn die Bäume tatsächlich nach ihnen schlugen, dann lag es daran, dass „das Wolkenschloss wie Lebkuchen roch“ und sie es im Gegensatz zu den Bäumen riechen und uns mitteilen konnten.
Ja, hier sind junge Menschen am Werk, die uns die Chance einräumen, die Welt anders zu erleben, diese Welt anders zu sehen. „Wir vertreiben das Schwarz der Industrie und das Braun der Dummheit. Wir machen die Welt bunt.“ (Frederik Bösing)
Nehmen die jungen Schreibenden ihre umgebende Welt nicht ernst, empfinden sie den Umgang mit der Welt als ein unverfängliches Spiel, das sich immer zu ihrem Besten wenden wird? Unzweifelhaft nicht! „Selbst die Vögel verspotteten mich, während ich mich auf dem Boden wand und schrie“ (Maren Wegmann). „Kriechende Kälte“ (Pia Haskamp) an allen Anfängen und Enden, „denn ich habe meine Fantasie verloren“, (Antonia Uptmoor) das Grausamste, das ihnen in der Auseinandersetzung mit der Welt drohen kann.
Nein, diese jungen Autoren versuchen, eigene, andere, ästhetische, gelegentlich auch politische Wege zum Erfassen der Welt, zu ihrem Verstehen und auch zu ihrer Veränderung zu finden. „Schreib Hassparolen an die Wand / Und lach laut und herzhaft / Über alle fließenden Tränen / Aber bring mich zu Bett“ (Katarina Klein).
Der hier angefordert Handelnde, der Hilfestellung zum Erfassen und Verändern der Welt geben soll, der schützen soll, bleibt in den meisten Fällen unbestimmt. Selten wird er so wie im Folgenden genau umrissen und zugleich auch wieder abgelehnt: „Einen perfekten Märchenprinzen? – Nein, den hab ich nicht. Aber wer will den schon perfekt? Wäre alles perfekt, würde man sich keine Mühe mehr geben müssen. Die Spannung wäre raus.“ (Lina Vaske)
Es gibt keine eindeutige Welt mehr, damit keine ein-deutige Welterklärung mehr, damit auch niemand, der die Welt, der uns in der Welt retten kann: „Irgendwann flieht auch der Mond von der Erde. Und davor flieh ich.“ Die Flucht ins Ästhetische als Möglichkeit des Überlebens? „Wieder ein Stück dagelassen, wieder, dem Vergnügen geschuldet.“ (Maren Wegmann) „Wohin geht die Reise? Zurück in den Schlaf. Gute Nacht Flimmers. Gute Nacht Mama.“

Die fast kindlich anmutende Sicherheit des Vertrauten, immer wieder taucht sie auf, bietet letzte Sicherheit vor dem Totalen der Unsicherheit. „Verwese bloß nicht. / Sei da bei mir. / DU, helle Sonne. / Ich mag dich. / Du bist so schön.“
Am Ende bleibt ein faszinierendes ästhetisches Moment der Einsamkeit, das sich für die jungen Autoren in der Gemeinsamkeit ihres Tuns auflöst: „Und auch jetzt klingt dein Lied nach Meer. Der Strand ist nachts fast so kalt wie du. Wasser spült schwarze Algen auf den Sand.
Sie formen sich wie Blumen um dein Gesicht.
Der Mond reflektiert das Licht der Sonne. Und so bist du heute nur die Reflexion einer Reflexion“ (Thi Quynh Anh Nguyen).
Niemand sollte je sagen, es gäbe sie heute nicht, die jungen Stimmen, die uns die Chance der Auseinandersetzung mit der Sicht auf heutige Welten geben. Doch der Mühe der Auseinandersetzung, der müssen wir uns unterziehen. Nicht annähernd die Mühe, die die Jugendlichen aufwenden müssen, auch nur annähernd die von uns geschaffene Welt zu verstehen.