Nobert Büttner rezensiert Nicoleta Craita Teno's Roman: Man bezahlte den Kuckuckskindern den Rückflug
Norbert Büttner
Altenbraker Str. 20
12053 Berlin
Tel. 030/6227959
Rezension
Nicoleta Craita Ten'o: Man bezahlte den Kuckuckseiern den Rückflug, Geest Verlag 2014, Vechta, 186 Seiten, ISBN 978-3-86685-447-5, 11 Euro
Magdalena Hancu ist ein rumänisches Romamädchen. An einem Herbsttag tritt sie mit ihrem Vater die weite Reise von ihrem Heimatdorf Tudor Vladimirescu (so heißt übrigens auch ein rumänischer Nationalheld des 19. Jahrhunderts) nach Deutschland an. Mit einem Schengen-Visum versehen, das für drei Monate den Aufenthalt gestattet, versuchen sie im eisigen Winter 2005/6 als Straßenmusiker in Hamburg das Geld für ein besseres Leben in Rumänien zu erspielen. Aber wenn sie auch sehr gut ankommen beim Publikum und es der Münzen und sogar Geldscheine nur so regnet – das Leben in Deutschland ist sehr teuer und so bleibt am Ende des Tages kaum etwas übrig von den Einnahmen.
Magdalena ist zwar schon neunzehn, doch in manchen Angelegenheiten noch wie ein Kind. Sie hört Stimmen und wird manchmal von furchtbaren Albträumen heimgesucht, als würden noch andere Personen in ihr wohnen.
Sie hatte vor der Reise große Angst. Doch Deutschland gefällt ihr. Es ist wie im Paradies. Die Straßen sind sauber, die Häuser solide. In den Geschäften gibt es alles und die Ware wird ordentlich eingepackt von den immer freundlichen Verkäufern überreicht, überhaupt scheinen die Menschen alle wie einem Märchenbuch entstiegen. Sie sind schön, wohlhabend und gepflegt. Und sie mögen die beiden Roma und geben ihnen viel Geld.
Magdalena möchte in Deutschland bleiben. Aber es gibt nur einen Weg, um das zu erreichen: Sie muss ihren Onkel, einen schon etwas verlebten Alkoholiker, heiraten...
Nicoleta Craita Ten'o, die Autorin dieser Geschichte, ist schizophren, Autistin und Dichterin. Das prägt auch ihren Roman. Es ist auf den ersten Blick eine realistische Geschichte, knapp und unsentimental, aber sehr bewegend erzählt und mit großer Genauigkeit in den Details. Es ist aber auch das Porträt eines Mädchens, das gelegentlich seine Umgebung sehr merkwürdig anschaut. Manchmal verhält es sich sehr pragmatisch wie ein mit allen Wassern der Enttäuschungen gewaschener Erwachsener, aber dann reagiert es unvermittelt sehr kindlich. Dieses Mädchen besitzt mehrere Sichtweisen, die ihre Umwelt in sehr verschiedenen Farben wiedergeben.
Das könnte vielleicht verwirren, aber die Geschichte ist fest eingespannt in einen strengen, beinahe novellistischen Rahmen, sodass der überblick immer gegeben ist.
Der Stil erinnert z. T. an die Malweise der französischen Neoimpressionisten um Seurat und Signac. Große Tupfer bunt nebeneinander gesetzt — was aus der Nähe zu irritieren vermag, formt sich aus einigem Abstand betrachtet zu einem komplexen Puzzle. Aber die forcierte, sehr bewegte Erzählweise, bei der die Worte gern zu tanzen anfangen, lässt auch an die Expressionisten denken. Doch gerade wenn das Tempo sich zu überschlagen droht, wechselt abrupt der Erzählmodus, scheint ein anderer Autor, ein Kommentator, sich in den Roman einzuschalten und ihm Ruhepausen zu verordnen. Es werden ganz sachliche Textstücke einmontiert, die Momente der rumänischen Geschichte - der ältesten (noch unter den Römern), der älteren (nach der Türkenzeit) und der neueren (unter Nicolae Ceausescu) in völlig aufsatzgemäßer Weise referieren und reflektieren. Das sind Haltepunkte für den Erzähler, aber auch Verschnaufpausen für den Leser. Aber sie nehmen nichts von der Bewegung aus der Handlung, die unbeirrt auf ihr Ende zuschnurrt. Diese scheinbar so einfach daherkommende Geschichte, die Wahrhaftes und Unwahrscheinliches, Naturalistisches und Märchenhaftes miteinander verwebt, ist eines der wenigen Bücher der vergangene Jahre, die realistisch sind, aber auch (in diesem Fall vielleicht sogar unbeabsichtigt) einen experimentellen Anstrich haben.