Noch einmal 'Das ist unser Haus' am 12. Dezember am Vormittag um 10.00 Uhr im Gymnasium Brake
I
Das ist unser Haus!
Ein Roman von Jugendlichen
der Pestalozzischule und des
Gymnasiums Brake
in Zusammenarbeit mit
Kultur vor Ort e. V., Berne
und dem Geest-Verlag
Hg.: Alfred Büngen
Grußworte von Cornelia Rundt,
niedersächsischen Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung
und Thomas Brückmann, Landrat des Landkreis Wesermarsch
Geest-Verlag 2014
ISBN 978-3-86685-475-8
ca. 240 S., 10 Euro
Die Autoren des Buches
Marija Aganesov, Torben Baltruschat,
Melina Berndt, Niklas Böck, Benjamin Bürger,
Eleni Chouliara, Joshua Dammann, Anna Deyle,
Marielle Fastenau, Gretje Gebken, Hannes Geisel,
Jacqueline Grüner, Laila Marie Haberland,
Jonas Hadler, Pascal Häsler, Justine Hayen,
Theis Hedden, Justin Hermann Georg Heilshorn,
Judith Heinemann, Lisa Heyne, Jana Jürgens,
Samuel Knobloch, Sofi Kocatas, Miklas Kunst,
Rebecca Laatz, Nils Langenberg, Christian Lax,
Tomke Lösekann, Khalil Maaziz, Liisa Meyer,
Sebastian Ostermaier, Raphaela Otto,
Mirco Petershagen, Cheyenne Petrach, Neele Punke,
Ion Ritter, Christina Ritter, Michelle Riwoldt,
Benita Santjer, Céline Schmikale, Veronika Schneider,
Jan-Hendrik Schnieder, Carsten Schumacher,
Emily Senft, Henning Spark, Sören Spark,
Marle Thormählen, Julia Weber, Simke Wiemer,
Alina Wieting und Angelina Yilmaz
Dokumentationsgruppe
Emre Acar, Alina Bechstein, Julia de Boer,
Aileen Ebben, Colin Eikis-Sagcob, David Fette,
Mona Frey, Oliver Haertel, Lennart Hahn,
Aleksandr Hammerstein, Jan-Bernd Herrmann,
Lukas Karl, Emilie Krummacker, Frederic Kunst,
Mara Logemann, David Logemann, Isabell Masla, Marcel Müller, Philipp Müller, Marcel Oetken,
Leonie Ritter, Thorge Steudten, Denise Wessels
und Marcel Wielki
Begleitende Lehrerinnen
Edith Villette
Vienna Richter
Regina Vennemann
Elke Akkermann
Gemeinsam schreiben
Projekterfahrungen des Herausgebers
Alfred Büngen
Mit mehr als 50 Jugendlichen einen Roman schreiben? Dazu noch ein Inklusionsprojekt mit Gymnasiasten und Förderschülern? Ein von vornherein zum Scheitern ver¬urteiltes Projekt, hätte auch ich vor gut einem halben Jahr gesagt. Das vorliegende Buch zeigt jedoch: Das Unmögliche wurde möglich. Doch der Reihe nach.
Im vergangenen Jahr führten Kultur vor Ort e. V., Berne, und der Geest-Verlag zusammen mit der Pestalozzischule Brake ein Buch- und Schreibprojekt durch, bei der SchülerInnen dieser Schule ihre Befindlichkeiten in Buchform äußerten (‚Zwischen Kuschelbär und Liebesglück‘). In diesem Projekt wirkten die in diesem Buch nun mehr selbst zu Autoren gewordenen Gymnasiasten als Schreibpaten für die jüngeren SchülerInnen der Pestalozzischule mit. Wie erstaunt waren wir, als wir aus der regionalen Presse erfuhren, dass diese Schreib¬paten aus eigenem Antrieb ältere Schüler kurz vor Weihnachten zu einem gemeinsamen Frühstück eingeladen hatten und dazu Texte aus ‚Zwischen Kuschelbär und Liebesglück‘ gemeinsam lasen. Das war der entscheidende Impuls: Warum nicht gemeinsam ein Buch schreiben?
Die Verantwortlichen in beiden Schulen waren sofort bereit mitzuwirken. Und insgesamt mehr als 70 Schü-ler der achten Klassen des Gymnasiums und der neunten Klasse der Pestalozzischule. Das sprengte den Rahmen. So wurde den Gymnasialschülern die Wahl gestellt, entweder beim Buch selber mitzu-schreiben oder den Prozess des Schreibens und das Leben von Jugendlichen etc. zu dokumentieren.
Auch das Thema war rasch gefunden: Jugendliche erkämpfen sich ein eigenes Jugendhaus. Auch hier war ich skeptisch: Im Zeitalter von Twitter & Co. ein Jugendhaus? Ist das nicht eine Idee von Erwachsenen, die in ihren Jugendjahren vielleicht in dieser Jugendzentrums-Bewegung steckten? Und dann natürlich der Zeitfaktor. Drei Schreibtage waren vorgesehen, um das gemeinsame Projekt durchzuführen.
Also, ein Figurenensemble schaffen, eine Handlung skizzieren und in gemischten Gruppen zumindest den Roman in wichtigen Sequenzen schreiben, dabei im Hintergrund immer beachten, dass die Begegnung miteinander, das gegenseitige Erfahren von Lebens-, Denk- und Gefühlswelten wesentliches übergeordne-tes Ziel eines solchen Inklusionsprojekts bleibt.
Doch wie die Figuren gestalten? In einem Vorlauf skizzierten die Schüler jeweils sich: Vorlieben, Interessen, Grundhaltungen, Zukunftsperspektive und vieles mehr. Daraus abstrahierte ich das Grundensemble der Figuren des Romans: 12 verschiedene Personen mit sehr unterschiedlichen sozialen Hintergründen, Bildungsniveaus etc. Die Schüler wurden also zu ihren eigenen Romanfiguren, die so angelegt waren, dass sie sich zum Teil un-tereinander in Beziehung befanden, sich zum Teil aber auch überhaupt nicht kannten. In jede Figur wurde zudem eine bestimmte Handlungsproblematik eingebaut, die die Handlung des Romans von allein weitertreiben konnte. Bis zu fünf Schülern sollten sich jeweils zu einer der Personen des Romans zuordnen und in dieser Person die Handlung durchlaufen.
Erste Klippe: Die Zuordnung zu den Figuren. Einige gruppendynamische Spiele trugen dazu bei, dass die Zuordnung zu den Figuren weitgehend problemlos verlief, d. h. Jugendliche beider Schulen ordneten sich jeweils einer Person zu. Dabei war nicht zu erkennen, dass die Zuordnung über die eigene Nähe zu den Romanfiguren erfolgte. Die Gruppen zu den Romanfiguren blieben, einige kleinere Wechsel ausgenommen, an den drei Schreibtagen bestehen.
In den nun folgenden drei Schreibtagen (jeweils mit mehrwöchiger Pause) beschrieben die Jugendlichen unter jeweiligen Aufgabenstellungen die Entwicklung und das Verhalten der Romanfiguren. Es war dazu erlaubt, die Figur auch umzugestalten, wovon in den meisten Fällen Gebrauch gemacht wurde. Einige Figu-ren erlebten andere Namen, andere Handlungshinter-gründe. Während des Schreibens mussten die Schrei-benden jeweils mit den anderen Schreibgruppen Kontakt halten, um diesen Handlungsentwicklungen, von denen sie betroffen waren, mitzuteilen. Dazu wurde innerhalb der Gruppen eine Struktur geschaffen, die jedem der Jugendlichen eine Aufgabe zuwies (etwa Schreiber, Sprecher, Verbindungsmann/frau etc.). Zwischendurch wurden die Schreibergebnisse jeweils vorgelesen. An zwei Stellen wurde die Gruppenstruktur entlang der Personen aufgesprengt und es konnten neue Gruppen gebildet werden (Sponsorensuche, Song fürs Jugendhaus schreiben).
Den Schreibprozess im Einzelnen zu beschreiben, würde dieses Nachwort bei Weitem überfordern. Doch seien zumindest einige Auffälligkeiten genannt: eine hohe Gesprächskultur innerhalb der Gruppen unter den Jugendlichen (Austausch auch weit über die eigentliche Schreibaufgabe hinaus); sehr kontroverse Beurteilung des Handelns der einzelnen Figuren in der Gruppe (nicht entlang der Schulzugehörigkeit, vielmehr entlang der eigenen persönlichen Grundeinstellungen); zum Teil ein-fühlsamere, individuellere Zugangsweise zu den Ro-manfiguren von Jugendlichen der Pestalozzischule; Entwurf der Handlungskonzepte der Figuren meist durch Jugendliche des Gymnasiums; besseres gemeinsames Arbeiten an den Schreibtagen in der Pestalozzischule, da Größe, Lärmpegel, Umgangsformen am Gymnasium für die Jugendlichen der Pestalozzischule schwierig zu bewältigen waren; Berichte über die Projektergebnisse wurden von Jugendlichen beider Schulen vorgetragen; mit jedem Schreibtag wurde der Umgang der beiden Gruppen miteinander vertrauter und die Arbeitsergebnisse daher besser, wurden die Arbeitsaufgaben auch rascher und kreativer bewältigt; die inhaltliche Komponente, Gründung eines Jugendhauses, wurde mit jedem Schreibtag spannender, als wesentlicher empfanden die Jugendlichen jedoch die Entwicklung der Persönlichkeiten der einzelnen Romanfiguren.
Am Ende der Schreibtage saß ich vor einem Berg be-schriebener Blätter, die zum Teil wortwörtlich, manchmal überarbeitet oder als Handlungsstruktur in das Gesamtgefüge des Romans übernommen wur-den. Als Herausgeber lag es nun an mir, aus den vielen Einzelteilen einen Gesamtroman zu stricken, eine Aufgabe, die unter einem höheren Zeitbudget auch von einer Gruppe von Jugendlichen aus beiden Schulen zu erledigen gewesen wäre.
Meine anfängliche Skepsis war also völlig unberechtigt. Obwohl durch eine Vielzahl von Buchprojekten mit Kindern und Jugendlichen geschult, war mein Vertrauen in die Fähigkeiten von Jugendlichen beim Schreiben nicht hoch genug gewesen. Jugendliche, gleich welcher Herkunft, welcher Schulbildung und welchen Alters können mehr, als wir ihnen gerade im Schreiben zutrauen. Sie sind kreativ, entwickeln eigene Konzepte, durchdringen Sachverhalte und Handlungen, erfassen Figuren auch in ihrem Handeln miteinander – wir müssen sie nur lassen und dürfen nicht mit vorgefertigten Mustern auf sie zugehen. Mit ihnen gemeinsam entwickeln, zuhören, mit ihnen über ihre Ergebnisse sprechen, auch uns fremd vorkommende Lösungen akzeptieren, daraus kann sogar ein ganzer Roman entstehen.
Und der Inklusionsgedanke dabei? Ich kann und mag nicht im Einzelnen beschreiben und beurteilen, was sich bei den mitschreibenden Jugendlichen entwickelt hat. Natürlich gibt es Unterschiede im Schreiben und im Leistungsniveau zwischen beiden Schulen. Für mich waren sie weniger spürbar als die Leistungsunterschiede innerhalb der jeweiligen Schule. Unterschiedliche Zugangs-, Betrachtungs- und Arbeitsweisen belebten die Arbeiten insgesamt mehr, als dass sie irgendetwas verhinderten. Der Erfahrungsaustausch untereinander über das Denken, Fühlen und Verhalten der Romanfiguren brachte den Austausch über eigene Fühl- und Denk-ansätze. Man wurde sich vertrauter, kann inzwischen auch im außerschulischen Bereich einmal ‚Hallo‘ sagen. Und man entdeckte Gemeinsamkeiten zwischen sich: gleiche soziale Problemstellungen, gleiche Freizeitinteressen, gleicher Musikgeschmack und vieles mehr. Je länger der Schreibprozess dauerte, umso mehr verwischten die jeweiligen Schulzugehörigkeiten.
Bleibt mir an dieser Stelle nur zu danken, allen an diesem Projekt Beteiligten – den Jugendlichen, den beteiligten Lehrkräften, die mir mit Rat und Tat beiseitestanden, den Entscheidungsträgern und Organisatoren beider Schulen, den Sponsoren, den Vorwortgebern für das Erfassen der Bedeutung des Projekts und dem Organisator des Projekts, Reinhard Rakow.
Vielleicht noch ein Wort zum Schluss. In beiden Schulen schlummern so viele Schreibtalente, dass es eine wichtige Aufgabe wäre, diesen Jugendlichen die Möglichkeit zur Ausprägung ihrer eigenen Worte und damit ihrer eigenen Gedanken etwa in der Form einer Schreibwerkstatt zu geben.