NWZ stellt Jürgen Wascheks 'Dessauer Knallerbsen' vor

Dessauer Knallerbsen gegen das Vergessen

 

Oldenburger Jürgen Waschek erinnert an die Wende – Geschichtsträchtige Zeit hautnah miterlebt

http://www.nwzonline.de/oldenburg/kultur/dessauer-knallerbsen-gegen-das-vergessen_a_19,0,1456832314.html

Der Oldenburger Waschek war ab 1990 im Auftrag westdeutscher Bildungsträger im Osten. Auch er hat damals viel gelernt.

 

Oldenburg Computer? Nein! Internet? Fehlanzeige! Kopierer gar? Keinesfalls! Jürgen Waschek bevorzugt die altmodische Methode des Schreibens: mit der Hand, am Wohnzimmertisch sitzend. Auf diese Art hat der Oldenburger ein dickes Buch fabriziert, ein Stück Autobiografie, wenn man so will. Seine „Lieblingsstadt“ an der Hunte spielt dabei nur eine Nebenrolle, der 533 Seiten starke Bericht beschreibt vielmehr Wascheks Leben mit „Dessauer Knallerbsen“ (so der Titel des Buches). Der heute 69-Jährige war in einer sehr geschichtsträchtigen Zeit in Sachsen-Anhalt: Er erlebte von 1990 bis 1996 die Jahre der Wende hautnah mit. Ein West-Bundesbürger in der DDR, die plötzlich auch Bundesrepublik war.

Das, was die große Politik als „Zusammenwachsen zweier Teile, die zusammengehören“, bezeichnete, erlebte Waschek als zum Teil schmerzhaften, zum Teil holprigen, dann aber auch wieder witzigen Übergang, in dem die Menschen in den neuen Bundesländern sich innerhalb kürzester Zeit in einem völlig ungewohnten Lebens-, Gesellschafts- und Beziehungssystem orientieren mussten. Waschek, eigentlich gelernter Außenhandelskaufmann, ging wie so viele „Wessis“ ab 1990 im Auftrag verschiedener westlicher Bildungsträger nach Dessau, um den „Ossis“ zu erklären, was es bedeutet, Bürger der Bundesrepublik Deutschland zu sein. „Vom Formularausfüllen bis zur Warnung vor windigen Autohändlern habe ich denen alles versucht beizubringen“, lacht Waschek.

Dabei dürfte dem Oldenburger wohl nicht immer nach Lachen zumute gewesen sein, das zeigt die Lektüre seiner Erinnerungen an die bewegte Wendezeit. „Viele Menschen hatten das DDR-System nach so vielen Jahren ja immer noch verinnerlicht, da hörte man andauernd Sätze wie ,Das hatten wir ooch‘“, sagt Waschek. „Und dann war das ganze Land irgendwie heruntergewirtschaftet. Wieso muss Dreck bloß was mit Sozialismus zu tun haben?“

Aber er lernte in seiner Zeit auch von den ehemaligen DDR-Bürgern. „Ich wollte das auch, ich hatte doch überhaupt keine Ahnung von dem Staat da. Da gab es auf beiden Seiten viel Nachholbedarf.“ Was auch der Hauptgrund war, dass Waschek 13 Jahre nach der Zeit in Sachsen-Anhalt zum Kugelschreiber griff. „Die Unwissenheit über die Wendezeit hat erschreckend zugenommen“, ärgert er sich. „Da wird heute fast schon verklärt von Ostalgie geredet – und es werden alle Dinge vergessen, die in der DDR geschehen sind.“ Darum verließ sich Waschek, der vorher nie ein Buch geschrieben hatte, lieber auf „mein unheimlich gutes Erinnerungsvermögen“, als er 2009 mit dem Notieren begann. Zweimal übrigens, einmal in Schmierschrift und dann nochmals leserlich, damit der Bericht abgetippt werden konnte. 2013 dann fand er nach langer Suche auch einen Verlag.

Sein Fazit über die Jahre, in der sich die Menschen aus dem Osten dem Westen annäherten: „Man musste Verständnis haben für ihre Sorgen. Meine Aufgabe war es, Leute, die lernen wollten, in ihrem Bemühen zu unterstützen.“ Dass sich in Sachsen-Anhalt seitdem viel getan hat, weiß Jürgen Waschek (der im Buch „Martin“ heißt und dort auch manche privaten Erlebnisse einstreut) natürlich: „Die Dinge von damals sind nach dem Aufbau nicht mehr wiederzufinden“, betont er. „Das ist zwar tröstlich, aber auch traurig, weil alles so schnell vergessen wurde.“ Seine „Dessauer Knallerbsen“ seien, gerade jetzt 25 Jahre nach dem Fall der Mauer, darum auch ein Buch gegen dieses Vergessen. Und am zweiten Teil arbeitet er bereits…
 „Dessauer Knallerbsen“ von Jürgen Waschek ist erschienen im Geest-Verlag, Vechta. Es hat 533 Seiten und kostet 17 Euro.