Reinhard Rakow schreibt zu Vanja Michailovas Gedichtband 'Es wird niemals Freude sein'

Reinhard Rakow schreibt zu Vanja Michailovas gerade neu erschienenem Gedichtband 'Es wird niemals Freude sein'

 

Die brutale Geste der Dichterin
oder: Im Signalpistolengewitter

Zu Vanja Michailova
 

O
Wenn Künstler über Künstler schreiben, schreiben sie immer auch über sich – meist, um sich selbst zu erheben, indem sie das Werk des anderen sezieren, dessen Unzulänglichkeiten aufzeigen, Fehler ausbreiten, (die einem, gottlob, selber ja abgehen, weiß man doch selbst alles viel besser) oder, um sich selbst zu erheben, dessen Vorzüge lobpreisen, in hohem Ton schwär¬men von ihm, seinem Geschick, seinen Gaben, mit denen sonst nur man selbst noch beschenkt sei; es fügt das Beschriebene sich so, „als wär´s ein Stück von mir“.Der Leser dieser Zeilen sollte dieses narzisstischen Reflexes sich eingedenk sein und der Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit, dass auch ihr Verfasser ihm erliege, zumal der sich zum Recht auf Schwärze, aufs Denken und Klagen über die Verlorenheit des Seins, über das Leben in ihr, ebenfalls offen bekennt. (Ohne Filter: Diese Schwärze scheint mir so nah und vertraut, und ich freue mich, ihr bei anderen zu begegnen, weil ich mich in ihr partiell wiedererkenne, das tut gut, zumal wenn einem selbst dieser Schwärze wegen sonst vorwiegend Unverständnis und Ablehnung begegnen.)Und noch eines sei entborgen: Seit Jahren besuche ich auf dem Literaturfest des Geest-Verlages Vanja Michailovas Lyrik-Lesungen, verfolge fasziniert, gebannt ihren Auftritt — eine zarte, zerbrechliche Person, krähenschwarze Locken, dunkel-verschlungener Blick, der, kaum hat sie das Podest erklommen, Suaden von Silben endlos ent¬strömen, ein rauschhaft rhythmisiertes Rubato mit sparsam dosierter Abweichung von der Mittellage, beschwörend, betörend, ein Sprechgesang, pointiert durch Wiederholung, Phrasierung, Drive und den Nachhall einer harten slawischen Zunge, die dem Ganzen ein unvergleichlich reizvolles Gepräge verleiht. Man müsste das filmen, dachte ich oft, eine Lyrik-Lesungs-Hör-und-Seh-DVD, um Dritten annähernd einen Eindruck von dieser alles bewegenden, alle ergreifenden Intensität zu vermitteln (und weiß doch um die Nichtreproduzierbarkeit der Magie des Moments). Ich bin Fan also auch insofern — und war als solcher bang von der Frage erfüllt, ob Vanja Michailovas Lyrik, des Substrats ihres eigenen Vortrags ‚entkernt‘, zurückgeworfen auf die spröde Nacktheit der schwarzen Zeichen auf Weiß, dann noch die gewohnte, geliebte Wirkung entfalte.

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„Ein Buch wie ein Schrei: ein Schrei von jemand, der fällt, von ziemlich weit oben. Es ist dunkel. Der Fallende und die Umstände seines Fallens sind nicht klar auszumachen, doch die Art, wie der Wind den Schrei ablenkt, zerfetzt, wieder einfängt, zeigt, dass er im Sinkflug trudelt, achterbahngleich, bevor er aufschlägt. Was bleibt, ist ein Wimmern.“ Das fiel mir ein, als ich Vanja Michailovas Gedichtband zum ersten Mal las. Geschrieben habe ich es 2005 zu Eva Strittmatters Buch ‚Der Winter nach der schlimmen Liebe‘ (Aufbau-Verlag), einem, wenn man so will, lyrischen Protokoll einer Beinahe-Beziehung, einer „schlimmen Liebe“, in die die Strittmatter, die fast Siebzigjährige, sich bedingungslos gestürzt hatte. „Es ist die Zeit kühler Bilanzierung, heißer Verwünschung und vor allem die Zeit, sich die Seele waidwund aus dem (alten) Körper zu schreien. Die Schreie, die sie dabei ausstößt, verstören. Nicht nur, weil sie sie kaum ernsthaft durch die Tarnkappe eines ‚lyrischen Ichs‘ zu schützen sich müht. Nicht nur, weil sie alt ist. Sondern weil sie diesen doppelten Tabu¬bruch vor aller Augen auch noch in alle Einzelheiten zerlegt.“ Alles, was ich bisher in Bezug auf die Strittmatter und deren Gedichte zitierte, ließe sich eins zu eins auf Vanja Michailova und ihre Gedichte übertragen. Sie schreien, sie bersten, sie wimmern. Es leidet ihr Ich an kommunikativer Erkaltung, Seelenschmerz, an Vereinsamung, Ver¬zweiflung, weiß weder aus noch ein. Und auch Vanja Michailova schert sich in ihrer rasenden Verlorenheit einen Dreck um Tabus: „Ich bin ein alter Ast. ... / Wieso ist es gegeben, / dass alte, graue faltige Frauen / ... / sich dennoch verknallen?“ oder: „Sei froh, dass du nicht / mein Spiegel bist und diese Fratze / tagtäglich sehen musst“.

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Was ist das: Befindlichkeitslyrik? Egozentrisch, masochistisch, larmoyant? Und wenn die Strittmatter reimt, „Ich kann es nicht hindern, ich sehne mich / Nach einem Menschen, der zu mir gehört / Ich sehne mich sehr bitterlich“? ‚Ja‘ hier und ‚Ja‘ dort, und doch ‚Na und?!‘ in beiden Fällen. Nichts gegen Emotionen! Nichts gegen Rührung, nichts gegen den Mut, Rührung zuzulassen, auszusprechen, poetisch in Worte zu fassen auch und gerade, das eigene Ich einbeziehend, es entblößend bis zur Unkenntlichkeit! Sowohl in Strittmatters ‚Winter‘ als auch in Vanja Michailovas Band verbinden sich gerade hier, entlang der Grenze zur ich-zentrierten ‚Nabelschau‘, in der bewussten Verletzung des Verfremdungs-, Fiktionalisierungs-, Abstrahierungs-Gebo¬tes Sprachmacht und Mut zur Wahrhaftigkeit zu poetischer Größe.
Gerade hier aber tun Gräben sich auf. Denn Strittmatters Selbstbetrachtungen haben zur Folie eine einzelne Episode ihres Lebens, jenes Unglücklichverliebtsein und ihre eigene temporäre Vernichtung, Vanja Michailovas nicht weniger als das Leben – ihr Leben, wie sie den Leser (zunächst) vermuten lässt – ein Leben, in dem eine Rolle spielen: eine marode Ehe, Kinder, ein anderweit verheirateter Mann, unerfüllte Liebe zu einer Frau, Leere, Vereinzelung, Alleinsein im Zu-Zwein-Sein, Leiden am Alltag, an sich selbst. Und: Strittmatters Leid bleibt Reflex, Michailova hat, den bloßen Reflex überwindend, ihn umgeformt in Gemeinheit gegen sich selbst — was an der Fatalität des Verlorenseins zwar nicht das Geringste ändert, es indes dank der aktiven Komponente, die der Gemeinheit vinnewohnt, (womöglich) erträglicher macht. So bietet sie sich uns dar als „unsinniger Text“, der nichts bedeutet „und doch gezwungen wurde zu leben“, sie ist „Bettler“ (um Liebe bettelnd), tituliert sich als „Hündin“ (die man nicht liebt), ausgesetzt einem (sprechunfähigen) „Fisch“, die reden will, doch schweigen muss: „Hörst du meinen Schrei / wenn ich schweige?“, fragt sie und meint einen Schrei nach Aufmerksamkeit, nach Befassen, Anfassen, Berühren, nach Liebe. Strittmatter weint, Michailova schreit. Selbst im Schweigen kann sie sich nicht ergeben in das Unrecht, das ihr angetan wird. Solch "schreiendes" Unrecht, solch schreiendes Verzweifeltsein bilden den Boden, aus dem Elend erwächst – das tiefe Elend tiefster Entfremdung von den Mitmenschen, schlimmer: von sich, das Elend (vielleicht) der bürgerlichen Familie, des (wahrscheinlicher, vermute ich) Unbehaust-in-die-Welt-geworfen-Seins einer vom ersten Atemzug aufs Sterben hin ausgelegten, hoffnungslosen Existenz, so lächerlich, so absurd, dass sie sich allenfalls im absurden Tun eines Schweige-Schreis "durchleben" lässt. Samuel Beckett hat die Sinnentleertheit solcher Existenz und ihrer vergeblichen Suche nach einem Ausweg im ‚Endspiel‘ auf den unvermeidlichen Punkt gebracht, wenn sein Hamm zu Clov sagt: „Es ist zu Ende. Wir sind am Ende.“ Strittmatters Sehnen eingeschrieben bleibt ein letzter Rest Hoffen. Vanja Michailova aber hat die Hoffnung längst schon verloren. „Verlassen. Gestrandet. Allein. / Ohne Hoffnung. Ohne Bleibe“ ist ihr „Blick in die Zukunft“, und die einzig von Hoffnung getragene Frage, die bleibt, ist nicht die nach der Überwindung dessen, was Leben hemmt (es also lebenswert(er) machen könnte), sondern die nach der Überwindung des Lebens: „Aus dieser engen Zelle / namens Leben gibt es / kein Entkommen ... // oder doch?“

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Dieses Gedicht ohne Titel markiert den Schluss dieses Bandes, folgendes den Anfang: „VERZWEIFLUNG // Eines grauenhaft strahlenden Morgens / erwachte ich erneut widerwillig / in der Welt der Tatsachen. / Ich hasste mich / und verachtete die Menschheit.“ (Schon diese Verse sind mehr als nur Programm der Sammlung. In ihrer Nüchternheit, Bodenlosigkeit und Radikalität künden sie von dichterischem Format, wie es selten zu finden ist im Einerlei der zeitgenössischen Lyrikveröffentlichungen. Doch weiter:) „Also stieg ich auf den Dachboden hinaus, / holte meine Kinderpistolen heraus / und überlegte fieberhaft, ob ich mich erhängen / oder die Menschheit erschießen sollte.“Diese beiden Gedichte halten den Band zusammen wie die Stahlbacken einer Zwinge den Gemarterten. Gewalt, um genau zu sein: Gewaltfantasien, begegnen uns immer wieder, zusammen mit dem Leiden an der Einsamkeit durchwirken sie die Sammlung wie zwei schwarze Fäden. Selbst Gedichte, die nicht eigentlich von Gewalt handeln, strotzen vor gewaltaffinem Vokabular („die Zeit, der Zukunft entrissen“, „dieses verdammte Leben“, Gespräche („Keiner will zuhören“) sind wie „Horrorfilme“ und so fort; allenthalben wird „gekrallt“, „zerfressen“, „zerfetzt“, „zerrissen“, es „klafft“, „lechzt“ und „blutet“. Die Gewalt richtet sich bisweilen gegen Dritte, auch gegen den Partner („Amok-Mörder“, „Ich begrabe dich“, „erschieße die Menschheit“), ganz überwiegend aber gegen sich selbst: „Ich hatte mich getötet – mich befreit“, „Ich trage eine Bombe in meinem Bauch“, „Ich will dieser verdammten Zelle entkommen – meinem Kör¬per“, Monster werden erst dann ablassen von ihr, „wenn ich ein formloses, blutloses, lebloses / willenloses, leibloses, geistloses, in nichts mehr einem / Menschen ähnelndes, jämmerlich zerrissenes Stück / Fleisch geworden bin.“ Woher dieser Hass gegen sich selbst, woher die Brutalität, die einen aus solchen Zeilen anspringt wie ein böser Dämon, einen erschrickt bis ins innerste Mark? Der Maler Francis Bacon kommt mir in den Sinn, der in Hunderten von Porträts – auch und gerade Selbstporträts! – das Antlitz des Porträtierten förmlich zerfetzte, entfugte, durch einen Fleischwolf aus Farbe und Pinsel quetschte, um sich so der gequälten Kreatürlichkeit (seines realen Gegenübers wie auch des Menschen selbst, Ecce homo!,) zu bemächtigen; Es scheint, als wäre er, indem er das Gesicht seiner Modelle quasi „unter dem Daumen“ zerquetschte, vorgedrungen zu ihrem eigentlichen Kern, der Tragik ihres wahren Wesens. Milan Kunderas spricht in einem Essay über Bacon von der „brutalen Geste des Malers“ und weist darauf hin, dass die Porträts trotz und in ihrer Verzerrung getreu (ich ergänze: also wahrhaftig) seien. Bei Vanja Michailovas Gedichten, vermute ich, wirkt ein geistesverwandter Mechanismus. Indem sie der Wirklichkeit mit der ihr eigenen „brutalen Geste des Dichters“ begegnet, sie umformt, ihren Schreckenskern bloß legt, zeichnet sie die Wirklichkeit so wahrhaftig, wie sie ihr erscheint, wie sie ist. (Wobei es übrigens von völlig untergeordneter Bedeutung ist, ob sie dieses ‚poetische Verfahren‘ der ‚brutalen Verzerrung‘ an sich selbst oder sonst wem exemplifiziert — so, wie es für Bacon belanglos war, ob er Mick Jagger, Lucian Freud oder sich selbst „durch den Fleischwolf drehte“. Das Ich des Künstlers ist nie ‚privates‘ Ich, es wird, sobald es eingefangen ist in eine künstlerische Äußerung, abstrakt, von ‚sich‘ transzendiert.)„Hat jemand etwas einzuwenden gegen Gewalt?“, fragt Vanja Michailova weniger provokant als verbittert zum Ende ihres Gedichts „Erlösen“. Auch dies ein brutales Gedicht, ein Lobgesang auf die eigene Entleibung („den faulen Mist / aus beiden Körperhälften entleeren ... Auf den Müll damit!“) Sich beim Lesen eines Textes über dessen Gewalttätigkeit zu erschrecken, kenne ich aus dem Wiederlesen eigener Prosa und Lyrik. Oft habe ich mich befragt nach den Gründen, aus denen Gewalt durch meine Texte quillt, verstehe ich mich doch selbst als friedfertig und jeglicher Gewalt abhold. Eine der Antworten, die ich mir zurechtzulegen versuche, hat zu tun mit dem Übermaß an Leid, das der Wahnsinn des täglichen Lebens mir, meiner Seele, zufügt, und das nicht zu ertragen wäre ohne fantasierte, literarisch fingierte Gegengewalt. Jene sanftmütige Empfindsamkeit, mit der die reale Vanja Michailova uns begegnet, ist nur ein schwaches Indiz für die äußerste Feinheit und überwache Erregtheit ihres moralischen Sensoriums. Sie verbirgt, dass dieses Sensorium am liebsten ständig schreien möchte, weil es den Schmerz, den das Leben ihm antut, dieses "schreiende Unrecht", einfach nicht aushält. Nicht aushält, ohne selbst zu schreien im Gedicht. Nicht, ohne durchzudeklinieren, wie es sei, gemein zu werden gegen sich selbst, gewalttätig gegen andere. Ihre Empfindsamkeit verbirgt die Gewaltattitüde. (Die wirklich ‚nur‘ Attitüde ist; oder denkt jemand, die Menschheit sei mit Kinderpistolen zu erschießen?!)

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Als Signalpistolen bezeichnet man Schusswaffen, mit denen Munition unterschiedlicher Färbung und Helligkeit, teils mit zugleich akustischer Wirkung, verschossen wird, bei senkrechtem Abfeuern etwa, um Notsignale zu setzen oder Gefechtsfeldareale zu erleuchten; der waagrechte Gebrauch wirkt bei Bedarf nicht weniger zerstörerisch als der einer sonstigen Waffe. Zuweilen erscheint uns Michailovas Sprache wie ein Signalpistolengewitter. Der funkelschöne Schein der aufzuckenden Mündungsblitze über dem Schlachtfeld entblößt unter kaltem Licht Unsägliches: "ich hatte mich gerade umgebracht,/ getötet,/ ermordet,/ erdrosselt,/ erhängt,/ geköpft,/ stranguliert,/ mir den kopf abgesägt/, hände und beine abgetrennt,/ den rumpf entzerrt,/ den bauch aufgerissen,/ die gedärme entrissen,/ die zunge zerbissen,/ herz, lunge und nieren verschlissen,/ alles aus mir entfernt,/ verstümmelt, vergossen, verstreut,/ vernichtet, verwesen, vergessen,/ verworfen, verloren, verneint ...// (...)". Silben wie Salven, Laute, die jaulen, jaulen, brüllen, toben, explodieren, explodieren müssen, um der eigenen Empfindsamkeit, und sei es auch nur ansatzweise, entsprechen zu können. Im Salvenhagel der Signalschüsse transformieren sich Erregt- wie Verwundetheit des Sensoriums.
So gesehen, bietet die ‚brutale Geste der Dichterin‘ keinen wirklichen Grund zur Beunruhigung (– im Gegenteil: Fehlte sie, müsste man sich Sorgen machen). Schlimmer, besorgniserregender, erschütternder ist etwas anderes: „Der Tod der Sprache“. Eines der anrührendsten Gedichte in diesem Band, „Ich liebe dich nicht“, stellt Sprechen und Nicht-Spre¬chen („Hörst du meinen Schrei, wenn ich schweige?“) nebeneinander als beredsames Schweigen und trötende Sprachimpotenz. Eigentlich könnte Sprechen Rettung verheißen („Das sind genau die Sachen, / die ich dir sagen will“), eigentlich wenigstens das Schreiben („ich weiß, er (= der Fisch) verachtet mich / Nimmt mir übel, weil / ich immer noch schreibe, / weil ich nicht schweigen will.“). Was aber vermag der Gebrauch der Sprache, wenn Worte zu „Monsterworten“ mutieren, die das Gegenüber vernichten? Wenn Gespräche sich darin erschöpfen, dem anderen ostentativ den eigenen Schmerz auszubreiten („viel zu viel Schmerz in solchen Gesprächen / die Leute sollten sich lieber Horrorfilme erzählen“? Solche Gespräche freilich sind sinnlos, denn „keiner / (will) zuhören“. Und selbst der scheinbare Ausweg, dem Schweigen schreibend zu entgehen, ihm eine Nase zu drehen in der verkünstelten Mitteilsamkeit des Dichters, muss versagen, wenn man sich als Dichter in aller Gnadenlosigkeit die Leere des eigenen Strebens attestiert („es spielt keine Rolle, / wie viele Schlechte es gibt, wenn aus dir / nichts wird. ... Wir sind in jedem Fall / im Tod alle gleich“). Die Aussage, eine Lesung, über die die Zuhörer nach und nach fliehen, bis auf eine alte Dame, die zum Schluss in Tränen ausbricht, sei eine „gelungene Lesung“ gewesen, gebärdet sich nur zum Scheine sarkastisch oder makaber. Sie ist in Wahrheit „wahrhaftig brutal“, wie oben beschrieben, zurückgeführt auf ihren schmerzenden Kern, indem sie das Misstrauen an der Wirkmacht von Poesie und das Versagen auch des literarisierten „Nicht-Schweigens“ wie im Brennglas fokussiert. Zum Schluss, nach dem „Tod der Wörter“, sind die „Wörter, die mich unablässig verfolgten / ... weg!“. Vanja Michailova schreibt eine letzte endzeitschwarze Strophe:„Jetzt stehe ich da. Nur ich.Allein. In meiner Wortlosigkeit“. Und Hamm sagt zu Clov: „Es ist zu Ende“.

juni 2012