Wendelin Mangold - Spionwandlungen
SPIONWANDLUNGEN
Das Sammeln großer Datenmengen erlaubt es, mittels
Algorithmen, Personen zu klassifizieren, ihr Verhalten
vorauszuberechnen und auf der Basis spieltheoretischer
Modelle schlimmstenfalls sogar zu steuern. (Schlagzeile)
Stellen Sie sich für einen Moment Folgendes vor, Sie arbeiten am Computer und starren andauernd auf Ihren Flachschirm, um möglichst weniger Tippfehler zu machen. Plötzlich bewegt sich über Ihren Schirm ein winziges geflügeltes Insekt, eine Art Mücke. Obwohl so klein, sehen sie in aller Deutlichkeit ihre fast transparenten länglichen filigranen Flügel, zwei an der Zahl. Bloß ein schwarz-weißes Bild von einem Insekt. Sie wollen es selbstverständlich wegwischen. Es bleibt aber trotzdem weiter. Ohne welche Regung oder Fluchtbewegung zu machen. Es marschiert einfach weiter quer über Ihren Schirm. Sie sind verdattert: Verdammt! Erst jetzt bemerken sie, dass das mückenartige Insekt hinter dem stark beleuchteten, womöglich ein paar Hundert Lux-Lichtbeleuchtung, Schirm. Wie kam es da rein, wo doch alles verschweißt und hermetisch geschlossen? Und mit welcher Absicht? Wann und vor allem wo kam es da rein? Sie bekommen Zweifel unter dem Druck des jüngsten Skandals wegen der totalen digitalen Überwachung: Ist es überhaupt ein Lebewesen oder vielleicht doch eine ausgeklügelte perfekte Nachbildung? Bekanntlich werden die meisten Softwaren im Ausland hergestellt, was ja ein offenes Geheimnis ist. Ist es vielleicht ein Spion? Womöglich ein Terrorist? Den ich zufällig enttarnt habe, bin ich auch kein Edward Snowden. Wollte es möglicherweise mehr Daten über mich sammeln und weiter an die Geheimorgane leiten, oder gar meinen Flachschirm samt mir in die Luft jagen.