zum 1. Weihnachtstag: Kajan Luc: oh du ...!
Oh du …!
Kajan Luc
Jetzt bewegt er sich auch noch, wohl nicht auf Knopfdruck, eher auf Fingerzeig.
Glitzerkugeln, Lichterkette, die Liebe er-strahlt in neuem Glanz, im Auftrag, das ekelige Grün zu überdecken. Hauptsache traditioneller, pompöser und moderner. Meine eigentliche Lieblingseinkaufsgalerie wurde zerstört. Statt einfacher, schlichter Sitzbänke, die für mich schon immer shoppingnotwendig waren, sitzen meterhohe, faltige Gartenzwerge, deren Blicke einen wörtlich permanent anblinken; statt der zwei meist stämmigen, aber verlässlich schützenden Bodyguards in den Eingän-gen verzaubert dich die neuste, mit Lebens- und Intelligenzlosigkeit angehauchte Ausgabe der Barbie mit dem Extra eines Glitzerpüderchens in ihrem pinken Handtäschchen; statt eines wegweisenden Schildes, das für neue Kunden beim ersten und letzten Mal sehr hilfreich ist, steht ein Elch mit kugelroter Nase, die sie schon in die richtige Richtung stupsen wird.
Doch den Höhepunkt dieser ganzen Zirkus-Karneval-Silvester-Schau bildet der zwei Meter hohe Baum, dekoriert mit allerlei Silber-, Gold- und Rotschmuck, der nicht wie im vorherigen Jahr stillstehend scheint, sondern sich langsam von rechts nach links vorantapst. Die High-Tech-Myatonie scheint sich selbst überholt zu haben. Besucher, vor allem Kunden, zieht es an. Darunter nicht nur Kinder, nein, die meisten Erwachsenen sind es, die ihre bewundernden, angaffenden Augen nicht abwenden können. Was finden sie bloß an dem lebenden Baum, der nicht wie die anderen mit Kahlheit unsere verdreckten Straßen schmückt? Unten bis oben – alles besteht aus den wertlosesten und knappen Ressourcen der Knallbonbonindustrie: Satte, sich um sich selbst drehende Kugeln, in denen man sich mit dreidimensionalen Froschbacken wiedererkennen kann, gol-dige, endlos lange Ketten, die sich jede Frau am liebsten um ihren Hals, ich meine Körper, legen würde, Lametta, das sowohl an die Männerfrisuren der Hippies als auch die gelgeglätteten Löckchen meines Langhaarpudels erinnert, dessen Silberschimmer sich ohne Lupe als Flohwanzenkolonie entlarvt, kleine, klimpernde Glöckchen, die eine Melodie von sich geben wie das Klap-pern der Klapperschlangen bei Frost und Kälte. Und nicht zu vergessen, der glasig leuchtende, siebzehnkommadreifünfeckige Stern, dessen oberste Zacke längst abgebrochen ist, wobei sie sowieso überflüssig erschien. Abgesehen von den vielen fantastischen motiv-irrten Karten, deren Inhalt völlig leer ist, wie der meiner fettge-fressenen Tigerkatze, gibt es doch nicht viel, was die Bewegung des Baumes mög-licherweise erschweren könnte. Ich vermute, so etwas nennt sich nicht weit vom All entferntes Fremdschämen.
Bei längerem Betrachten fällt mir etwas Merkwürdiges auf: Als sich der Baum langsam an ein dick verschnürtes Kabel heranschiebt, verwurzelt er sich dermaßen, dass er ins Stolpern gerät und plötzlich kein Baum mehr ist, sondern, s-on-der-n …
Oh du Peinliche. Mein Vater steckt in einem Tannenbaumkostüm.
So also sieht sie aus: seine diesjährige Beförderung ins Himmlische!
aus:
Straßenfeger
Literarischer Stadtführer
für die Stadt Vechta
Verfasst von der Schreibwerkstatt
des Gymnasiums Antonianum
Herausgegeben vom
Museum im Zeughaus, Stadt Vechta
Ein Communauten-Projekt
Fotos von Alfred Büngen
Geest-Verlag 2011