zum 2. Weihnachtstag: Felix Lang - Aquarium

Aquarium
Felix Lang

So pervers er seine Idee fand, so sehr faszinierte sie ihn vom ersten Augenblick an.
Es schneit. Es hört auf.
Er schüttelte noch mal und es schneite erneut.
Mit halbmondähnlichem Grinsen hielt er die kleine Glaskuppel in Händen und taps-te unbeholfen Richtung Erwachsenen-spielplatz. Es blieb ihm auch nichts anderes übrig.
Draußen lag Schnee, so hoch, dass er nicht mehr Fußball spielen konnte, und so kalt, dass seine Schwester ihn nicht ticken wollte.
Mama und Papa sind doof. Drinnen dürfen sie nicht ticken spielen.
Also stand er mit seinem Spielzeug vor dem langweiligsten Gegenstand im Haus. Und dabei hatte er es am Anfang so lustig gefunden, die kleinen Mitbewohner mit Klopfen an die Scheibe zu verjagen. Doch irgendwann machte auch das keinen Spaß mehr.
Sein unbewusstes Ignorieren hat ihm ein unwiderstehliches Gefühl der Arroganz und Kontrolle gegeben. Auch wenn er nicht wusste, was das ist.
Heute aber war er wieder da.

Warum ist das Wasser eigentlich kein Eis, wo es doch draußen so glatt und voller Schnee ist?
Als er den kleinen Finger hineinhielt, fiel ihm schon auf, dass das Wasser kühl war. Aber gefroren war es tatsächlich nicht. Da bissen sie ihn.
„Hey, das ist mein Finger! Dann bekommt ihr es eben nicht!“
Sein Trotz ließ jegliche Anmut vermissen.
Die Backen aufgeblasen, Zunge rausgestreckt und den Stinkefinger gezeigt hat er.
Das Publikum blieb unbeeindruckt.
Dennoch, irgendetwas hielt ihn fest, ließ seine Füße am Boden kleben.
Haben Fische keine Freunde, oder warum schwimmen die alle so allein rum?
Ihr seid doch eine Familie!
Da fiel es ihm ein. Die konnten ja nicht wissen, was Weihnachten ist.
Aber Mama und Papa haben gesagt, dass wir die Fischchen nicht rausnehmen sollen.
Da begriff er, was er in seiner Hand hielt.
Natürlich hatte er das nicht so geplant. Er wollte den Fischen das Gefühl geben, ein eigenes Aquarium zu haben.
Er schüttelte einmal kräftig und wuchtete mit einem lauten Klatschen die Halbkugel in den gläsernen Kasten.
Dabei musste er zusehen, wie sie falsch herum auf dem Boden ankam. So holte er gleich einen Stuhl aus der Küche, um diesen Makel zu beheben.
Aber als er wiederkam, sah er die vielen kleinen Fische, wie sie um das fremde Aquarium im Aquarium herumzutanzen schienen.
Er guckte rechts, er guckte links, ob auch niemand da war, und patschte sogleich mit der flachen Hand auf die Wasserober-fläche.
Er wusste nicht genau warum, hatte aber das Gefühl, den Sinn von Weihnachten verstanden zu haben.

aus:

Straßenfeger
Literarischer Stadtführer
für die Stadt Vechta
Verfasst von der Schreibwerkstatt
des Gymnasiums Antonianum
Herausgegeben vom
Museum im Zeughaus, Stadt Vechta
Ein Communauten-Projekt
Fotos von Alfred Büngen
Geest-Verlag 2011