Weser-Kurier schreibt begeistert über die Lesung im Berner Studio B im Rahmen der Berner Bücherwochen

Das "Schneewittchenkind" oder die
erschütternde Diagnose Tod

Die zweite
Autorenlesung in Berne mit anrührenden Gefühlswelten

Von Iris Messerschmidt

BERNE. "Wenn ich König von Deutschland wäre",
dürfte sich laut Jana jeder aussuchen, wann er zur Schule geht. Außerdem müsste
in ihrem Reich niemand sterben. Ein frommer Wunsch der Schülerin, die zur
zweiten Autorenlesung der Berner Bücherwochen ihren Text aus der
Schüler-Veröffentlichung "Heute ist meine Zeit" als Einstieg zum Besten gab.
Doch es passte, denn im Berner Studio "foto-b" ging es um schwere Kost:
"Zwischen Leben und Tod".

"Die selbstlose Liebe, das Strahlen, der
weitherzige Blick wieder trotz oder wegen der kurzen Zeit, die nur noch
verbleibt in der Angst, der Verzweiflung, der Not - verbindet versöhnlich in
inniger Umarmung so Leben und Tod." Dieser letzte Absatz des Gedichtes von
Ulrike Wieters-Wilcke aus Elsfleth zum gleichnamigen Thema brachte den Inhalt
der insgesamt sechs verschiedenen Autoren und ihrer Werke auf den Punkt.
Abschied nehmen von geliebten Menschen, der Umgang miteinander vor, während und
nach dem Tod - das Erleben einer schweren Krankheit oder ihrer Diagnose - als
Außenstehender oder Betroffener.

Die Sitzreihen bis auf den letzten Stuhl
besetzt, vor klar strukturierten und mit freundlicher Aussage von den Wänden
strahlenden Bildern, die Autogeräusche der viel befahrenen Lange Straße durch
die Frontscheiben dringend, tauchten die Gäste ein - in das niedergeschriebene
Erlebnis. Die langjährige Freundin, die am Telefon von der erschreckenden
Diagnose berichtet, "sechs Monate hat sie noch zu leben, vielleicht auch
weniger" in Ulla Punkes Geschichte "Wohin?"; das von Claudia Windirsch-Schuster
geschriebene Erlebnis eines Mannes, der auf eine Spenderniere wartet und nun per
Unterschrift entscheiden muss, ob sein verunfallter und mittlerweile hirntoter
Bruder als Organspender in Frage kommt; oder "Blaukiste und Buchstabensuppe" von
Ruth Baumann, in der eine ganze Familie durch entsprechende Kommunikation und
Erinnerungen den Tod des geliebten Großvaters verarbeiten kann.

Eine
angespannte Stille verbreitet sich im Fotostudio, nicht mal ein kleiner "Huster"
traut sich aus den trockenen Kehlen, als Martina Bethe-Hartwigs
"Schneewittchenkind" vorgelesen wird. Der längste Text des Abends ist auch
gleichzeitig die anrührendste Geschichte. Ein todkrankes Kind, liebevoll von der
Oma "Schneewittchenkind" genannt, weil ihr schneeweißes Gesicht und die einst
noch vorhandenen pechschwarzen Haare an die Märchenprinzessin erinnerten. Ein
todkrankes Kind, das seine Sicht erzählt - von der einst bildhübschen Mutter,
die durch monatelang verborgene Tränen ein mittlerweile verzehrtes Gesicht hat.
Ein todkrankes Kind, das einen Pakt mit dem lieben Gott schließt - wenn das
letzte Blatt am Baum vor ihrem Fenster nicht fällt, wird sie
überleben.

"Taschentücher verteile ich gleich", gibt Reinhard Rakow,
Initiator der Berner Bücherwochen auch seine Gefühlslage preis, während er sich
verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel wischt. Auch die anderen Gäste sind im
Bann dieser Geschichten, die passend zum Wetter vor der Tür die Seelenlage der
Menschen im Inneren - des Raumes und des eigenen Ich - durcheinanderwirbeln.
"Keine leichte Kost", versprach Rakow zu Beginn - dafür eine sehr
gefühlvolle.