Neue Züricher Zeitung mit begeisterter Rezension zu Doris Eggers neuem Gedichtband '... längst verschwundene Vögel'

Feuilleton 28.05.13 / Nr. 120 / Seite 47 / Teil 01
!NZZ AG

Im Tollhaus der Sätze
chl. " Drei Jahre nach ihrer ersten Gedichtsammlung
hat die Basler Autorin Doris Egger einen weiteren
Lyrikband veröffentlicht, der zudem auch
einige Prosastücke und Grafik enthält. Sein Titel
verweist wiederum auf den Gestus des Wegfliegens.
Die Umstände, die ein Entschwinden notwendig
und zugleich gefährlich erscheinen lassen,
sind noch stets ein Leben in Krankheit, Einsamkeit
und schlecht ertragener Abhängigkeit («wie das
kleinkind an der mutterbrust»). Doch sind es nicht
Flug- oder Fluchtpläne, die Egger in ihren Gedichten
und Texten entwickelt. Vielmehr lässt sie einerseits
in sprachlich spröden Wortgebilden den Gefühlen
von Wut und Verzweiflung freien Lauf, wobei
«schreiben» und «schreien» gewollt ineinanderfliessen.
Literarisch reflektierter sind andererseits
jene Gedichte, die sich mit dem Prozess des
Schreibens auseinandersetzen, mit der «schreibsucht
», dem «begierigen» Warten auf die Ankunft
von Wörtern, dem «tollhaus» der Sätze im Kopf
und dem endlichen Erscheinen der Buchstaben auf
dem weissen Blatt Papier.Wenn es endlich kommt,
tritt das geschriebene Wort stets als Befreier auf:
im gestammelten Gedichtanfang «ich verlasse /
mich auf / meinen / freund / das / schreiben» hört
man, wie die Verlassenheit dem befreundeten
Schreiben weichen muss. Doch wenn der Wort-
Freund nicht kommt, nagt die Autorin am
«schreibgerät» und verschlingt «gierig die vereinzelten
holzsplitter». In einigen der kurzen Prosatexte
pinselt Egger zudem höchst suggestive düstere
Landschaften, durchlöcherte Gebirge im freien
Fall, die erschrockene Kreatur auf der Flucht
nach nirgendwohin. Bisweilen lässt die Autorin
ihre apokalyptischen Kurzmärchen mit Pointen
enden, die man farblich stimmig als schwarzen
Humor bezeichnen muss. Eines der Schreckensszenarien
endet so: «und gott sprach / es hätte noch
schlimmer kommen können.»
Doris Egger: . . . längst verschwundene Vögel. Kurzprosa und Lyrik.
Geest-Verlag, Vechta 2013. 123 S., Fr. 15.–.

 

Auch Doris Egger ist auf dem literarischen Sommerfest zu hören und zu sehen:

Termin: Freitag 31. Mai um 19.25 Uhr im Spieker Langförden