Rezension zu Artur Nickels 'fargespinste flussabwärts' aus 'Am Erker'

Stakkatolyrik am Zeitzaun

Wer nicht konservativ, gar reaktionär nach
hinten schauen mag, auf die nicht rückholbare,
wohl auch nicht in allem wünschenswerte
Vergangenheit, zugleich aber die Zukunft
schon von ungreifbaren Konsumverführern
und Dauerkommunikationsdiktatoren munter
gebaut, ja verbaut sieht, steckt in einem
Dilemma. In dieser Lage, wissend, „auf
der suche/ nach dem gestern/ kommt das
morgen / nicht zurück“, setzt Artur Nickel
aufs Gedicht.
Und es ist erfreulich, dass der Autor seinem
Band farbgespinste flussabwärts zwar eine
Gedankensplitter genannte, ziemlich flammende,
siebenseitige Rede über „Warum
Lyrik heute“ anhängt, in seinen Gedichten
jedoch keineswegs ins Reden kommt. Im
Gegenteil.
Knapp sind Nickels Sachen. Ein, zwei, drei
Wörter pro Zeile. Vier, wenn’s hochkommt.
Kurz, konzentriert. Stakkatolyrik. Da werden
nach dem Freibrief „Sprachnorm war gestern“
auch mal etwas brachial Silben neu
zusammengeschweißt, Adjektive oder Substantive
zu Verben gebogen, da „morscht“
und „flusst“ und „barkt“ es, da streift „ein
farbzartiges / lächeln“ hier „meine hand“
(„dies irae“) oder hängt „farb zartig“ dort
„am tropf“ („verlustanzeige“).
Aber solches Knirschen im Gefüge lässt sich
überhören. Es ist Nickels strenger Selbstverpflichtung
zum Nicht-Geplapper geschuldet.
Er streicht gern um die „zeitzaunallee“
herum, erinnert sich, wie er „vor die türe/
trat und/ mich hinter mir/ zurückließ“. Der
Mensch steckt existentiell im Zeitenspiel.
Zum Zeitenwandel „an der ruhr“ schreibt
der in Bochum lebende Autor „das märchen/
ist aus/ die wallfahrts/ kirchen / und
fördertürme/ sind verwaist/ den nachlass/
verwaltet/ ein kultur/ programm“. Manches
erklärt sich noch selbst: „eine klangspirale/
erklärt mir/ ihr echo“, aber „die mauerweiße/
streckt sich// kirchhofs / ruhe“ („sankt
margareta“).
In „stonehenge“ wird der heidnisch-christliche
Unterschied markiert („die erde/ neigt
sich/ dem himmel/ entgegen“). Indem die
Lyrik im Kleinen ansetze, wirke sie „selbst im
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persönlichsten, privaten Ausdruck politisch“,
schreibt Artur Nickel. So wählt er denn auch
weniger die opportune Empörung per Vers
(die gibt es auch) als die kleine, genaue
Beobachtung, den Gedanken gegen den
Strich.
Schön die feine Unterscheidung zwischen
der Nachtlaute und den Nachtlauten, ansprechend
die Bilder für schwindende
Hoffnung in „störche frösche“, für nicht Vergehendes
(„meine kinderwäsche/ trocknet
nicht“), für Unerwartetes: „unheimliches/
fängt sich/ an einem lindenblatt/ ein mönch/
taucht auf und/ reicht dir/ ein rotes jäckchen/
der ufersaum/ lächelt“.
Rolf Birkholz
Artur Nickel: farbgespinste flussabwärts, Gedichte.
124 Seiten. Geest. Vechta 2012. € 11,00.

 

 

aus: Am Erker, Nr. 65, Bücherschau S. 93/94