Esther - Leben eines jüdischen Mädchens in den Jahren des Nationalsozialismus in Brake
Der von den Schülerinnen und Schüler der Pestalozzischule verfasste Roman geht nun in die lektorale Endfassung. Die Texte, die von den Schüler geschrieben wurden müssten angepasst werden, eine identische Erzählperspektive hergestellt werden. Angereichert wird der Roman zudem um einige Fakten, die sich jetzt in den Gesprächen mit den Zeitzeugen ergeben.
14 Hauptpersonen hat dieser Roman, alle 14 oder 15 Jahre alt, eine von ihnen ist das jüdische Mädchen Esther. Wie alle anderen wohnt sie in Brake und erlebt/durchlebt dort die Jahre des Nationalsozialismus.
Der Roman verwebt realistische Elemente mit fiktivem Geschehen, um so den Jugendlichen die Konturen und Mechanismen der Macht und der Vernichtung in jenen Jahren zu verdeutlichen.
Nach Fertigstellung des Romans sollen die Jugendlichen das Geschehen in ein Hörspiel umsetzen.
Der Beginn des Romans
Ein Montagmorgen im Jahr 1933
Montagmorgen. Dutzende von Menschen streben den Geschäften in der Breiten Straße in Brake zu. Brot, Butter, Milch, Fisch, Gemüse – alles für den Haushalt will besorgt sein. Zumeist sind es Hausangestellte und Hausfrauen, nur ganz selten dazwischen ein Mann. Von Ferne sieht man am Anfang der Breiten Straße ein jüngeres, vielleicht vierzehnjähriges Mädchen. Zwischen all den Menschen würde sie kaum auffallen, würde sie nicht eine schwarzweiße Kuh an einem Strick hinter sich herziehen.
Das Mädchen, Hildegard ist ihr Name, wird heute sicherlich zu spät zur Schule kommen, denn der Unterricht hat schon lange begonnen. Warum sie zu spät ist? Bei Hildegard weiß man nie so genau, welche Idee sie gerade wieder hat. Aber was heißt hier zu spät zur Schule, es gibt drei Schulen im Ort. Die meisten Jugendlichen, von denen in diesem Roman erzählen werden wird, besuchen die Volksschule Harrien. Dann gibt es noch das Gymnasium in der Kirchstraße, das aber die meisten Jugendliche nicht besuchen können, weil es doch ganz schön viel Schulgeld kostet. Und es gibt eine Sonderschule, auf die all die gehen, die etwas Schwierigkeiten mit dem Lernen haben. Und das sind nicht wenige. Das hatte nicht unbedingt etwas mit dem Geld zu tun, denn Brake ist zu diesem Zeitpunkt eine relativ reiche Stadt. Der Hafen, der Schiffsbau, die Fettraffinerie und auch die Landwirtschaft spülen das Geld in die Kassen der Stadt, der Unternehmen, aber auch der vielen Arbeiter- und Angestelltenfamilien „Jede dritte Scheibe Brot und jedes zweite Pfund Margerine kommen aus Brake“, erzählte man sich allgemein im Deutschen Reich.
In diesem Buch erzählen Jugendliche, die alle 14 oder 15 Jahre alt sind, ihre Geschichte ihrer Jugend, denn es ist eine besondere Zeit. Das merkt man in der Breiten Straße an diesem Tag ganz besonders. Überall hängen noch die blutroten Fahnen mit dem Hakenkreuz. Gestern gab es großen Besuch in der Stadt. Reichsstatthalter und Gauleiter Röver war zu Besuch gekommen und die NSDAP, die HJ, der BDM und andere hatten ihm zu Ehren mit viel Blasmusik und Uniform einen Aufmarsch veranstaltet. Tausende hatten am Straßenrand gestanden und ihrem Gauleiter zugejubelt. Der Bürgermeister hatte ihm feierlich die Grüße seiner Braker Bevölkerung überbracht.
Es ist ein halbes Jahr nachdem Hitler zum Reichskanzler wurde, also Mitte 1933, Gauleiter Röver ist schon mehr als ein Jahr Reichsstatthalter im Freistaat Oldenburg Oldenburg, zudem auch die Wesermarsch und Brake gehören, und Bremen
Der Alltag der Jugendlichen, von denen diese Geschichte handelt, hatte sich eigentlich durch den Sieg der Natinalsozialisten erst einmal wenig gewandelt. Auch nicht an diesem Montagmorgen, als sie jeweils ihren Schulen zustrebten.
Esther ist an diesem Morgen schon früh mit dem Fahrrad von Berne nach Brake zur Schule gefahren. Der Weg ist dunkel und nebelig. Es ist noch ziemlich frisch, ja beinahe kühl so in der Frühe, der Weg ist bröckelig und viele Schlaglöcher erschweren ihr den Weg. Der andauernde Regen der vergangenen Nacht hat sie mit tiefen Pfützen gefüllt. In einer Kurve verfehlt sie den sicheren Tritt, will sich mit dem Fuß vom Boden abstoßen, und steigt dabei ungeschickt in eine der grauen Pfützen, sodass ihr rechter Halbschuh sich mit dem schmutzigen Wasser füllt und bis auf die Socke durchnässt. „So ein Mist! Ich Schlemihl!“, entfährt es ihr. „Gleich werden sie mich in der Schule wieder hänseln“
Esther ist das einzige jüdische Mädchen in der Klasse, wobei sie eigentlich keine wirkliche Jüdin ist, jedenfalls weiß sie wenig über ihre Religion. Ihre Mutter ist keine praktizierende Jüdin, hat sie nur einmal mitgenommen nach Oldenburg in die Synagoge. Esther weiß nicht viel über die jüdische Religion und Tradition. Auch wenn ihre Mutter darauf besteht, dass sie die jüdischen Feste feiern. Allerdings weiß Esther das eine oder andere jüdische Schimpfwort, hat sie von ihrer Schwester gelernt. Ihr Vater ist evangelisch und arbeitet als Zeitungsredakteur in Brake. Der Weserbote, heißt die Zeitung. Ihre Eltern hatten sich damals in Berlin kennengelernt, wo der Vater studiert, die Mutter in einer reichen, sehr liberalen jüdischen Familie gelebt hat. Da Der Weserbote einen Redakteur suchte, hatte es das junge Ehepaar nach Brake verschlagen. In Berne hatten sie ein billiges Haus als Mietwohnung gefunden.