Paula Debbeler, To-do: Wäsche waschen, Mama anrufen, die Welt retten

Paula Debbeler, 18 Jahre, Wildeshausen
To-do: Wäsche waschen, Mama anrufen,
die Welt retten

Ein kleines einsames Häuschen mitten im Wald. Wel-che Farbe haben die Mauern? Rot? Backstein klingt gut. Das raue Holz des Gartentors unter meiner Hand. Die Hühner glucken aufgeregt, sobald sie mich erbli-cken. Warmer Kräutertee. Kürbissuppe. Langsam ent-krampfen meine Hände. Ein Hund. Groß und flauschig. Nachts halte ich ihn in meinen Armen. Ruhe breitet sich in meinem Körper aus. (Der Trick ist, nicht darüber nachzudenken, dass man gerade eine Atemübung macht. Nicht so schwierig, wie es klingt, glaubt mir.) Gerade sammle ich Äpfel in einem Weidenkorb, da zerspringt mit einem Mal die friedliche Welt um mich herum. „Eva, kannst du mir eben hel-fen? Eva? Alles in Ordnung?“
Leicht genervt öffne ich die Augen. „Ja klar, was gibt’s?“
Sarah mustert mich zweifelnd und dreht mir dann ihren Bildschirm zu. „Die Überschrift verrutscht immer-zu, kannst du das fixen?“
Manchmal frage ich mich, wer von uns beiden schon länger hier arbeitet, selbst bei simplen Layout-Fragen braucht sie meine Hilfe. Kein Wunder, dass ich regel-mäßig darüber nachdenke, von hier abzuhauen. Irgendwo ins Grüne. Dahin, wo niemand ist. Endlich meine Ruhe. Vielleicht würde diese dauerhafte Unzu-friedenheit dann auch aufhören. Meine Therapeutin sagt, ich müsse mir weniger Druck machen. Ich sage, die Welt muss aufhören, uns alle so unter Druck zu setzen.
Unwillig öffne ich das Schreibprogramm unserer Zei-tung und öffne Sarahs Artikel. ‚Verheerende Wald-brände in Schweden – Tiere und Menschen in Gefahr‘, na, das muntert einen ja direkt auf. Irgendwie hatte sie es geschafft, den Titel in die Mitte der Seite, statt über ihren Text zu setzen. Warum wir neben dem Online Newsletter überhaupt noch eine gedruckte Wochenzeitung veröffentlichen, weiß ich auch nicht so genau, die liest eh kaum jemand, und bei den Online Artikeln kann selbst Sarah mit dem Programm umgehen.
„Fertig, so müsste es jetzt passen.“ Ich klicke auf Speichern und widme mich wieder meiner Recherche zum neuesten Skandal der Grünen, die ich zuvor mehr oder weniger unfreiwillig für meine Tagträumerei ver-lassen hatte.
„Danke! Was würde ich bloß ohne dich machen!“, folgt sogleich das Lob für meine heldenhafte Leistung. Das ‚Da bin ich mir auch nicht so sicher‘ kann ich mir nur gerade so verdrücken. Ich weiß, ich bin miesepet-rig, unerträglich, und einen optimistischeren Blick aufs Leben brauche ich sowieso, doch ernsthaft übel nehmen kann man mir das nun wirklich nicht. Meine Generation ist mit düsteren Zukunftsvisionen und untätigen Erwachsenen in der Politik aufgewachsen. Wäre für jedes Mal, dass einer von uns den Spruch ‚Ein Glück, dass ich das alles nicht mehr miterleben muss. Du tust mir echt leid‘ von einem Mitglied der Gesellschaft über fünfzig gehört hat, eine halbe Tonne CO2 eingespart worden, hätten wir heute keine Probleme mehr mit dem Klimawandel. Und keine verdammten Waldbrände in Schweden. Neben dem allgemeinen Weltschmerz und dem Untergang der Zivilisation, wie wir sie kennen, gibt es dann noch die individuellen Wehwehchen sowie den ständigen Ver-gleich mit anderen über Social Media. Also Verzeihung vielmals, dass ich nicht so tun kann, als wäre alles super. Als wäre der Regenwald nicht kurz davor, ein Märchen zu werden, und wir viel zu viele Menschen für diesen Planeten.
Seufzend beginne ich zu tippen, denn egal wie schrecklich alles ist, so kann ich doch nicht das Leben loslassen. Und zum Leben gehört nun mal meist Arbeit. In meinem Fall eigentlich sogar sehr spannende Arbeit. Das versuche ich mir immer wieder vor Augen zu halten, während ich meinen Artikel ausformuliere und anschließend formatiere. Wenig später fällt mein Blick auf die Uhr, und missmutig muss ich feststellen, dass ich noch eine weitere Stunde hier abzusitzen habe. Außer, außer ich würde mich einfach früher abmelden. Nutzen von meinen unzähligen Überstunden machen. Meine To-do-Liste sagt, dafür hast du auch morgen Zeit, und auch die Redaktionsleitung zeigt sich verständnisvoll. „Ruh dich aus, alles Wichtige ist doch eh geschafft.“
Draußen angekommen, setze ich erst mal die Kopfhörer auf. Mit dem Sound der 90er in den Ohren wird die Bahnfahrt direkt deutlich angenehmer. Zack von ‚Rage against the Machine‘ schreit mir die ersten Zeilen von ‚Killing in the name‘ ins Ohr, und unwillkürlich beginne ich zu lächeln. Mit Gedanken an das gewaltsame Vorgehen der Polizei bei Demonstrationen überall auf der Welt kann ich nicht anders als ihm recht zu geben. Doch irgendwie macht diese wütende Energie mich glücklicher, als jegliche Flucht aus dem Alltag in meine Tagträumereien es je schaffen könnten.
Noch immer vom Adrenalin meines Lieblingssongs durchströmt steige ich aus der Bahn und entscheide mich kurzerhand dazu, eine Flasche Wein und etwas Kuchen zu kaufen. Wenn die Welt schon ein qualmendes Wrack ist, dann will ich wenigstens mit Stil zusehen. Tüte vom Bäcker und Weinflasche im Arm steige ich die Treppen meines Gebäudekomplexes hoch. Bewusst die Tür zu meiner Wohnung, zum be-quemen Sofa und einem Abend vor dem Fernseher ignorierend, gehe ich zwei weitere Stockwerke hinauf und gelange damit zum Durchgang aufs Dach. Meine vollen Hände lassen mich leicht mit der schweren Tür kämpfen, aber letztendlich stehe ich am Geländer des Dachs, den Geschmack von Apfelkuchen und Wein auf der Zunge und Wind in meinem Haar.
Inzwischen ist die Musik in meinen Kopfhörern verstummt, und ich bin wieder allein mit meinen Gedan-ken. Doch anders als nur wenige Stunden zuvor in dem stickigen Büro, umgeben von schlechten Neuigkeiten, sind sie jetzt nicht mehr ein großes furchteinflößendes Monster, das seine Klauen nach mir ausstreckt, sondern eine friedliche Katze, die auf meinem Schoß schnurrt. So kann ich Ewigkeiten verbringen. Und langsam merke ich, wie ich wieder aufatmen kann, all den Ballast des Lebens los- und vom Wind fortwehen lasse. Morgen, ja morgen würde ich mich wieder mit Politik und Gesellschaft und Umweltfragen auseinandersetzen. Morgen würde ich den schweren Rucksack, der einem bei der Geburt in diesen Zeiten mitgegeben wurde, wieder aufsetzen, aber jetzt gera-de kann ich das alles nicht mehr. Jetzt gerade möchte ich einfach nur glücklich sein und die Strahlen der warmen Herbstsonne auf meiner Haut genießen. Und ehrlich gesagt kann ich niemanden verurteilen, der nach diesem Passus jeden Tag seines Lebens verbringt. Meine Generation ist nicht einfach politikverdrossen oder perspektivlos. Nein, wir sind einfach nur verdammt müde.
Genüsslich schließe ich die Augen für einen Moment und beschließe dann wieder reinzugehen. Ich muss noch Wäsche waschen, und wollte ich nicht meine Mutter anrufen? Und ja, da war ja noch was anderes. Ich und ein Haufen anderer junger Menschen müssen auch noch die Welt retten, weil so ein paar alte Leute es nicht auf die Reihe gekriegt haben.