Karim Gharbi - Wen erinnere ich, wenn ich mich erinnere? (Jugendliche melden sich zu Wort am 27. April)

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Wen erinnere ich, wenn ich mich erinnere?

Ich möchte nicht mich erinnern, sondern ich möchte an einen Menschen
erinnern, der mir wichtig war und ist. Die Geschichte ist wahr und
handelt von einer starken Frau in einer harten Zeit.
Bahija ben Hadja Tounsi ist im Jahre 1929 in Dehmani geboren worden. Zu
dieser Zeit war Tunesien noch durch die Franzosen besetzt und die
Menschen, die dort lebten, lebten – wie es meine Oma immer erzählt – in
Angst vor der Unter¬drückung und ohne jede Aussicht auf Bildung. Es war
die Zeit des Krieges.
Meine Oma, die ich hier erinnere – an die ich hier schriftlich erinnere,
hat somit nie lesen oder schreiben gelernt. Sie war die Tochter eines
Bauern und lernte auf dem Land harte Arbeit kennen und das, was die
Pflichten einer Frau sind.
Eine dieser Pflichten ließ meine Oma demnach mit nur 12 Jahren meinen
Opa, Rejab Ayari, heiraten. Von da an verließ sie endgültig ihre
Heimatstadt, allerdings zusammen mit ihrer Mutter.
Sie lebten nun in der Hauptstadt Tunis. Einige Jahre nach ihrer Hochzeit
bekam sie ihr erstes Kind, meinen Onkel, Mohamed Ayari. Es war eine
sehr harte Zeit, denn meine Oma erinnert sich noch heute sehr gut daran,
wie sie vor den Bomben und den Soldaten flohen. Sie hielt dabei ihren
Erst¬geborenen im Arm und lehnte sich nach jedem Gewehrschuss an eine
Hauswand, um ihren Sohn und sich zu schützen. Es war eine Zeit des
Schre¬ckens.
Trotz dieser düsteren Zeit erzählt meine Oma im¬mer, dass sie vor allem
auch sehr glücklich war, denn sie hatte einen liebevollen Mann, der sich
sogar um ihre Mutter und um ihre Geschwister gekümmert hat. Und sie –
meine Oma – schenkte ihm vier Kinder und sagt oft, dass diese Kinder ein
Geschenk ihres Mannes seien.
Nach dem Tod meines Opas 1956 musste sich meine Oma um alles selber
kümmern. Sie musste vier Kinder und ihre Mutter ernähren.
Nach einigen Jahren heiratete sie wieder und zwar Hmid ben Ahmed. Sie
bekam von ihm drei weitere Kinder. Mein Opa Hmid kam dann schließlich
nach Deutschland und arbeitete hier. Letztlich hat meine Oma sieben
Kinder fast so gut wie alleine gro߬gezogen. Noch heute sagt mir meine
Oma immer, dass dies alles eine in vielem bessere Zeit gewesen sei. Zwar
hatten sie nichts, mussten hart arbeiten, aber sie haben halt auch viel
mehr geschätzt als wir und waren für Kleinigkeiten dankbarer und
viel¬leicht glücklicher.
Als ich mit der Erich Kästner-Gesamtschule, Laura Klatt und Herrn
Gutsche nach München eingeladen worden bin, um erstmals mit der
„Stiftung Weiße Rose e. V.“ zusammenzuarbeiten, sah Herr Gutsche, mein
Philosophielehrer, das Foto meiner Oma auf meinem Handy. Er sah eine
alte Frau, die auf Teppichen saß, die ein Kopftuch trug und Fische
ausnahm. Und er war begeistert und erzählte von seiner Oma, die auch ein
Kopftrug trug, die auch Fische ausnahm, die aber nicht in Tunesien
aufge¬wachsen war. Und er bat mich, ihm mehr von dieser Frau zu
erzählen.
Und so erzähle ich von meiner Oma und kann an sie erinnern. Sie wird das
nie lesen können, aber ich hoffe, ich kann ihr das einmal vorlesen.

Karim Gharbi

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