Waller, Hans Dierck und Waller, Friederike: Ich habe mich entschlossen
Autor:
Waller, Frederike und Hans-Dierck
Ich habe mich entschlossen
Ein ungewöhnliches Frauenschicksal im 19. Jahrhundert
Geest-Verlag, Vechta-Langförden, 2006
ISBN 3-86685-019-0
132 S.
10 Euro
‘Ich habe mich entschlossen’ erzählt die Geschichte der Maria St., die der qualvollen, kleinbürgerlichen Enge des bäuerlichen Lebens im 19. Jahrhun-dert in Dithmarschen zu entfliehen sucht. Sie folgt ihrer großen Liebe und wandert nach Peru aus. Nach dem unverschuldeten Scheitern kehrt sie als Witwe mit der jüngsten Tochter in die Heimat zurück, stößt aber bei der Ankunft auf Ablehnung durch die Eltern.
Die Erzählung basiert auf den Skizzen der Enkelin Anne, die diese von den Gesprächen mit ihrer Großmutter angefertigt hatte und die von den Autoren des Buches zu einer biographischen Erzählung verarbeitet wurden.
Eine nicht nur inhaltlich bemerkenswerte Publikation, die den mutigen Frauen des 19. Jahrhunderts ein Denkmal setzt. Auch erzähltechnisch stellt das Buch eine Besonderheit dar, da es den Autoren gelingt, in einem fiktiven Rahmengespräch zwischen Anne und Maria auch die Eigenart der Land-schaft und der Menschen in Dithmarschen zu erfassen.
Leseauszug:
Der Zug hat sein Ziel erreicht und Anne eilt mit schnellen Schritten durch Wesselburen zum großmütterlichen Haus. Sie hat oft mit Maria über einzelne Stationen ihres aufregenden Lebens gesprochen. Jetzt ist die Enkelin voller Erwartung auf die ganze Lebensgeschichte dieser ungewöhnlichen Frau, die sich in einer von Männern dominierten Welt behaupten musste.
Die Großmutter freut sich über den Besuch der Enkelin. Sie hat Kaffee und Kuchen im Wohnzimmer aufgetischt. Die Flasche Rum unter dem Tisch fehlt auch nicht. Die neuesten Familiennachrichten werden ausgetauscht. Erinnerungen füllen jedoch die Gedankenwelt im Alter und so ist das Gespräch bald bei der Lebensgeschichte Marias angelangt.
Die alte Dame sitzt aufrecht in ihrem Lehnstuhl, den Blick fest auf Anne gerichtet. Ihre Gedanken sind konzentriert, sie kann sie immer noch präzise und plastisch formulieren. Leidenschaft und Wille aus früheren Jahren werden in ihren Worten wieder lebendig. Die Distanz zu lange zurückliegenden Zeiten lässt jedoch manches bittere Erlebnis in einem milderen Licht erscheinen. Es fehlt ihr auch nicht an kritischem Humor gegenüber den Zeitgenossen und an Sinn für Situationskomik.
Etwas verschämt sagt sie zu Anfang in Dithmarscher Platt: „Min Lew'n is as'n Roman, dar kann een en ganß Book vun schriebn.“ Und bei manchen Schilderungen unterbricht sie. „Dat heww ick noch keen een vertellt. Dat segg ick blots di. Sühst du, dat brückst du ni mit optoschriebn.“
Maria wurde 1838 auf einem einsamen Bauernhof in Reinsbüttelerweide im Norden Dithmarschens geboren. Sie erzählt von einem langen Fußweg zwischen den Feldern, der zum strohgedeckten Hof führt, eingerahmt auf der einen Seite von einem breiten Graben, Fleth oder Kanal genannt, gegenüber von hohen Pappeln umsäumt, deren Rauschen im Westwind immer noch wie ein Lied von Weltvergessenheit in ihren Ohren klingt. Über der quergeteilten Eingangstür waren auf einem Brett Kümmelkäschen für den Winter zum Trocknen aufgereiht. Durch eine kurze Diele ging es in die Küche. Recht wohnlich sei es hier immer gewesen, an der Wand links mit dem hohen Tellerbord und den blinkenden Schüsseln, den glänzenden Kupferkannen und den sauber gescheuerten spiegelnden Fliesen, auf die in den Abendstunden die Sonnenstrahlen fielen. Eine besondere At-traktion für die Kinder war der Backofen im großen, offenen Backsteinherd, wenn dort neben den knusprigen, schweren Roggenbroten noch schöne Pfeffernüsse zum Vorschein kamen. Der alte, blanke Kupferkessel, an einer Kette über dem knisternden Torffeuer aufgehängt, gab aus dem siedenden Wasser leise Zischlaute. In der ‚guten Stube’ stand ein seltsamer Ofen auf hohen, dünnen Eisenbeinen, seine oben vorspringenden Ecken waren mit blanken, gedrehten Messingköpfen verziert. Vor dem Ofen, in dem im Winter liebliche Bratäpfel schmorten, lag auf weichem Kissen träge der Hund, und neben ihm stand Vaters hoher Lehnstuhl mit den bunten Kattunkissen und lud zu gemütlicher Ruhe ein. Der Fußboden war sauber gescheuert und mit weißem Sand bestreut. Stühle und Sofa waren mit Leder bezogen, auf den Tischen lagen gehäkelte Decken, die Wände waren mit großen Bildern von Stilleben geschmückt, zwei Hundeköpfe blickten auf die Bewohner herab, auf Eckborden standen manche Nippessachen. Als Schlafstätte dienten zwei Alkoven. Sie lagen in fast völliger Finsternis, da die Doppeltüren mit dunklen Gardinen verhängt waren.
Maria erinnert sich. „Unser Spielplatz waren vor allem die Stallungen. Sie lagen durch eine Tenne getrennt neben dem Wohnhaus, aber geborgen unter dem Schutz des weit herabhängenden Strohdaches. Die Versorgung von Haus und Vieh mit Wasser erfolgte aus einer tiefgelegenen Quelle, zu der viele verwitterte Stufen führten. Das Spiel mit unseren Gesichtern im Spiegel des klaren Wassers konnte uns immer wieder begeistern. Besonderes Staunen erregte bei uns Kindern Großmutters ungeheurer Regenschirm, grün, mit Vierecken aus roten Strichen darauf. Beim Zusammenklappen wurde er einfach oben bauschig zusammengebunden, nicht, wie heutigentags, schön gefältelt und geglättet. Der Stock schaute dann noch etwa eine Handbreit hervor und lief in eine Messingkrücke aus, auf der unzählige Figuren, Muster und Schnörkel eingegraben waren.
Mutter Margarethe pflegte vor allem ihren Bauerngarten, der einen ungewöhnlichen Reichtum an Blumen, Beerensträuchern und Obstbäumen zeigte. Die Zeit der Beeren und Obsternte konnten wir Kinder kaum erwarten.
Vater starb in frühen Jahren. Seit meiner Schulzeit hatte ich einen Stiefvater, der mich streng, aber gerecht behandelte. Gelegentlich wurde er allerdings von heftigem Jähzorn gepackt.
Die Kinderjahre waren trotz des heimischen Umfelds durch die einsame Lage des Hofes eintönig. Morgens musste ich früh aufstehen und den Schulweg nach Reinsbüttel zu Fuß zurücklegen – im Herbst und Winter bei Regen, Schnee und Sturm, in der Dunkelheit oft begleitet von Gespenstern. Der Unterricht in der Schule dauerte bis in die späten Nachmittagsstunden. Wenn ich müde nach Hause kam, musste ich meine beiden jüngeren Brüder beaufsichtigen oder an den Winterabenden das Stroh reinigen, aus dem der Stiefvater Besen fertigte. Ich trug diese, in zwei Bündeln an Stricken über der Schulter, zum Verkauf in die nächste