Militärgeschichtliches Museum in Nordenham lädt ein zu Vorstellung, Lesung und Gespräch 'Brücken bauten sich auf. Schüler versuchen zu verstehen'
Brücken bauten sich auf -
Ein Projekt zum Thema Nationalsozialismus
und Ausgrenzung
Hrsg. von Alfred Büngen
unter Mitwirkung von Christine Metzen-Kabbe
Geest-Verlag 2012
ISBN 978-3-86685-353-9
ca. 250 S., 12 Euro
In den letzten zwei Jahren haben sich die Schülerinnen und Schüler des Kurses fg 1 des Gymnasiums Bad Zwischenahn-Edewecht mit diesem Projekt zum Thema „Nationalsozialismus und Ausgrenzung“ beschäftigt. Neben ihren Facharbeiten, der wissenschaftlichen Bearbeitung dieses Themas, haben sie sich in die Rollen der Schülerinnen und Schüler einer fiktiven Schulklasse in Bad Zwischenahn hineinbegeben und ihr „Zweites Ich“ durch die Zeit bis nach dem 2. Weltkrieg begleitet.
Ihre Auseinandersetzung mit den ganz unterschiedlichen Schicksalen dieser fiktiven Schulklasse ist sehr bewegend und auch ergreifend und erhellt die Zeit von 1933 – 1945 noch einmal. Das Buch dokumentiert die Arbeit und ermuntert andere Schulen zum intensiven Umgang mit der Thematik.
Wie führen wir junge Menschen und auch Erwachsene an die Zeit des Nationalsozialismus heran?
Die ablehnenden Reaktionen vieler Jugendlicher bei der Behandlung der Thematik zeigen, dass wir Wege suchen müssen, die überzeugender sind, als viele Wege, die wir heute gehen. In den Evaluationen der jugendlichen Teilnehmer, die in Auszügen auch in diesem Buchprojekt abgedruckt sind, ist sehr häufig die Rede davon, dass sie bereits wissenschaftlich an diese Thematik mehrfach herangeführt wurden. Und wir leben in einem Zeitalter, in dem junge Menschen an alle Bereiche wissenschaftlich, zielorientiert und objektiv herangeführt werden. Doch können wir wirklich an alles objektiv – ich will gar nicht die Frage der Objektivität der Wissenschaftlichkeit hier aufreißen – heranführen? Wir wollen, gebietet das unser demokratischer Bildungsauftrag, junge Menschen in ihrer jeweils eigenen Individualität zu einer eigenen Identität führen. Das heißt auch, wir müssen sie selber entscheiden lassen, müssen sie fühlen lassen, müssen ihnen die Chance zum eigenen Erleben, zur eigenen Auseinandersetzung, zum eigenen Erforschen bieten, auch mit allen Irrtümern. Nur die wissenschaftlichen Fakten zu bieten und zu sagen, nimm an oder nicht, führt nicht zur Identität, führt allenfalls zur Herausbildung von Lernmaschinen. Und das gilt nicht nur für das Thema Nationalsozialismus.
Und es gibt weitere verhängnisvolle Fehler in der heutigen Herangehensweise an die Thematik des Nationalsozialismus.
Dies ist vor allem eine moralische Instrumentalisierung des Themas, die vielleicht viele Jahre gar nicht anders möglich war. Zu lange haben wir nur unterschieden in die Täter und die Opfer und die Unbeteiligten. Wir haben als Generation die Älteren gefragt, ob sie Täter waren, haben zu Recht die Täter moralisch und vielleicht zu wenig juristisch verurteilt, haben zugleich das Gedenken an die Opfer stärker geweckt, häufig ohne je das Gespräch mit den Überlebenden und Nachkommen zu führen. Das Schema stand ‚Schwarz und Weiß', Grau war unbekannt. Und damit war das Thema moralisch letztendlich abgearbeitet. Wir ergreifen Partei für die Opfer, legitimieren uns so als moralische gute Menschen und verurteilen die Täter, die Funktionäre und Schergen der Nationalsozialisten. Doch haben wir es uns nicht zu leicht gemacht? War diese Herangehensweise glaubwürdig? Was ist mit den angeblich vielen Unbeteiligten, der Grauzone der Menschen, zu der wir doch letztlich alle gehören. Gerade die Untersuchungen zur deutschen Wehrmacht haben in den letzten Jahren deutlich gemacht, dass es kaum Unbeteiligte geben konnte.
Alle Menschen waren in die Systemstrukturen verstrickt, es gab kein Entrinnen. Das machte den Nationalsozialismus erst zur Vernichtungsmechanerie. Was machte die Grauzone unfähig zum Handeln? Unser Handeln, unser Erforschen darf sich nicht erschöpfen in der moralischen Verurteilung, die ohnehin feststeht. Wir müssen herangehen an eine systematische Analyse und Beurteilung, warum die Menschen damals sich nicht gegen die Vernichtung von Millionen von Menschen gewehrt haben.
Aus all diesen Punkten entwickelte sich dieses Projekt mit den Jugendlichen. Und es ist überraschend, mit welcher Intensität sie sich dieser Projektarbeit annahmen, die versuchte, sich der Grauzone des Nationalsozialismus zuzuwenden, die versuchte, sie im Rahmen einer eigenen Identitätsbildung sich mit der Individualität junger Menschen aus den Jahren des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Die Schüler sollten sich im Rahmen vorgegebener familiärer Strukturen jeweils in die Rollen von Jugendlichen in den Jahren des Nationalsozialismus begeben und die Jahre mit wichtigen Entscheidungen durchlaufen. Eigenes Erforschen, sich in die Rollen von Menschen versetzen, Entscheidungen zum Handeln treffen, bewusst machen, dass man sich entscheiden musste.