Über 30 Gäste beim ersten Autorenabend der Winterreise im Berner Autohaus Lampe (VAG)
Über 30 Gäste aus der Wesermarsch und dem Ammerland hatten sich am Mittwoch zur ersten Autorenlesung aus der Anthologie "Winterreise" im Berner Autohaus Lampe (VAG) eingefunden, um Texte zum Thema "Straßen und Wege" zu hören.
"Eine Straße muss ich gehen, die noch keiner ging zurück", heißt es in der "Winterreise", ein Zwang, dem sich der "ewige Wanderer" Mensch nicht entziehen kann - was er auch anstellen mag, sich seine Zeit zu vertreiben. Das Programm des Abends stellte Anthologie-Texte unterschiedlicher Färbung und Abstraktion zusammen. Gelesen von den Verfassern selbst oder von anderen Anthologie-Beteiligten, fesselte jeder Beitrag die Anwesenden auf seine sehr eigene Weise.
Vorwiegend heiter geht es zu bei Edith Koschnicks Reisebericht "Special offer". Ein ausgedienter Bulli wird als Sonderangebot erstanden, um als fahrbarer Untersatz bei einem Winter-Trip nach Afrika zu dienen -- und endet als "Special offer" auf einem Markt unter Afrikas Sonne. Marina Köglins "Nachts um drei am Arsch der Welt" durfte in diesem Zusammenhang nicht fehlen. Mit viel Tempo, Witz und Einfühlungsvermögen las Edith Koschnick (Elsfleth) die Geschichte von dem Opel Corsa namens Roger, der mitten in der Nacht in einer verschneiten Einöde des deutschen Nordwestens seinen Dienst versagt und so seine Besitzerin einigen schwierigen, aber quietschkomischen Situationen aussetzt. Edith Koschnick las, als wär´s ein Stück von ihr -- und ernete die Brüller des Abends.
Eine ganz andere Art von Komik, fast schon Galgenhumor, zeicnnet Heinrich Beindorfs "Zero" aus. Ein Text aus der Innenwelt von Hatz IV, schnoddrig protokolliert aus der Sicht eines Typen, dem eine Frau mit Anhang zuläuft für eine Weile. Und der in dieser Weile lernt, dass auch der Weg nach unten, in eine Welt "ohne Kohle", ein Weg ohne Rückkehr ist. Gespannt lauschten die Hörer den Worten, aufkommendes Lachen wich schnell kollektiver Beklommenheit und sichtlicher Betroffenheit (Lesung: RR).
Ernst und Endlichkeit bestimmen Uwe Pohls Beitrag "Heimwärts". Ein Mann erhält nachts einen Anruf seiner Mutter, zu der er lange Jahre keinen Kontakt hatte. Der gehasste Vater hat eine Schlaganfall erlitten, es sieht nicht gut aus. Trotz üblen Winterwetters entschließt er sich, durch die Winternacht mit dem Wagen nach Hause zu fahren. Renate Pohl (Metjendorf), die Ehefrau des erkrankten Autors, las in seiner Gegenwart. Langer Applaus dankte beiden für einen anrührenden, sensibel vorgetragenen Text, mit dem der Leseabend seinen Auftakt genommen hatte.
Den Schluss bildete Katrin Klauers fast schon seelenverwandte Erzählung "Sommervater". Eine Frau, in der Winternacht unterwegs nach Hamburg, nimmt einen Anhalter mit, einen Studenten. Während der Fahrt stellt sich heraus, dass er vor seinem Vater flieht. Und es stellt sich heraus, dass sie einstmals vor ihrem Vater floh ... Wie schon Uwe Pohls Held kommt auch Katrin Klauers Heldin zu spät -- oder etwa doch nicht? Ein gespanntes, hoch konzentriertes Auditorium nutzte nach viel Beifall die Gelegenheit, noch lange über die vorgetragenen Texte zu diskutieren. Mehr als zwei Stunden, proppevoll mit Literatur, waren wie im Fluge vergangen, und alle waren sich einig: Ein gelungener Abend!