18. Juli - aktueller Autor - Marinus Münster
Marinus Münster
Aufgewachsen ist er im flachen Holstein, doch er lebt heute in den oberbayerischen Bergen und hat dort auch seine Frau, Naturliebhaberin wie er und begeisternde Köchin, kennen und lieben gelernt. Gemeinsam mit ihr bewohnt er ein altes Landhaus, hält Hühner und eine Katze.
Ganz anders seine Arbeitswelt: Er entwickelt seit einem Vierteljahrhundert Software und befasst sich dabei ständig mit modernsten Technologien.
Seine dritte Dimension ist das politische Engagement als Gewerkschafter, Naturschützer und Kriegsgegner.
Wie bringt er all dies unter einen Hut? Mit etwas Fantasie: Er ist selbst ein Büchernarr, schrieb als Kind Gedichte, hat sich aber erst mit fast 50 Jahren und "Dilldöppchen" an eine Veröffentlichung gewagt. Er sagt: "Vielleicht wird mein zweiter Roman 'Hamster im Rad' heißen." Auch dieser Titel beschreibt ihn.
Veröffentlichungen im Geest-Verlag
Prolog aus 'Hamster im Rad'
Soll doch Ranntodt gehen!
So trotzig hätte Schlotterbek noch vor einem Jahr argu-mentiert. Aber heute will er nicht mehr bleiben. 18 Jahre hat er bei der techno AG verbracht. Jetzt, als es vor dem Arbeitsgericht um seine vierte fristlose Entlassung in Folge geht, ist er bereit, einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses zuzustimmen.
„In solchen Fällen wird das meiner Erfahrung nach nichts mehr“, meint der um die 60 scheinende, leicht korpulente, bedäch¬tig wirkende Richter zu der Aussicht, dass der konservativ ge¬kleidete Vorstand Manuel Ranntodt und der langhaarige Betriebsrat Markus Schlotterbek jemals wieder zusammenarbeiten könnten.
Soll doch Ranntodt gehen!
Doch Schlotterbek denkt heute anders. Er will jetzt selbst gehen. Das vergangene Jahr hat ihn zermürbt. Erbittert hatten sie sich um die Arbeitsplätze, ja überhaupt um den Fortbestand der Firma ge¬stritten. Um seine eigene Haut zu retten, war der Vorstand Manuel Ranntodt dem Eigentümer Han¬nibal Kappes in jeder Hinsicht zu diensten und hatte alles versucht, mit Firmenaufspaltung, Bilanz-änderung, Massenentlassung und Erpres¬sung von Betriebsrats¬mitgliedern gearbeitet, um die techno AG zu liquidieren, dabei möglichst viel von dem Kapital zu retten und die Angestellten nicht nur um ihren Job, sondern auch um Millionen Euro von Ab¬findungsansprüchen und angesammelten Überstunden zu betrügen.
Kappes hatte die Firma in erster Linie zwecks Steuerer-sparnis gekauft, und in zweiter Linie, um im Hype des Neuen Marktes zu spekulieren. Als er mit beidem scheiterte, wollte er sie liquidieren. Aber kann das Pferd dafür, wenn die Wette verloren geht? Die Be¬triebsräte riefen Wirtschaftprüfer, Arbeitsgerichte, Öffentlichkeit und schließlich die Staatsanwaltschaft zu Hilfe. Sie machten Kappes und seinem Vorstand so einen Strich durch die Rechnung und zwangen ihn, die Geschäfte fortzuführen. Das taten sie so lange, bis der Eigentümer nach der Konjunkturerholung techno wieder als profitträchtig einschätzte.
Rund 30 Männer und Frauen aller Altersstufen behielten auf¬grund dieses Vorgehens ihren bereits verloren geglaubten Arbeits¬platz und Ranntodt schien sich jetzt mit dem Ausscheiden von Schlotterbek, den er als Hauptgrund für das Scheitern seiner Pläne ausgemacht hatte, zufriedenzugeben. Welche Mühe hatte der Vor-standsvorsitzende sich im Jahr zuvor gemacht, um das Betriebs¬ratsmitglied Schlotterbek loszuwerden. Er hatte ihm Arbeiten übertragen, die nicht seiner Qualifikation entsprachen, hatte ihn irgendwann ganz freigestellt, sein Gehalt gekürzt und eine fristlose Kündigung nach der anderen ausgesprochen. Er ging auch gegen andere ähnlich vor, schoss sich aber sich zusehends auf Schlotterbek ein.
Das hat Schlotterbek zwar zermürbt, was aber nicht heißt, dass er seine Kollegen im Stich lässt, wenn er heute einen Vergleich betreffs seines Ausscheidens aushandelt. Er stellt klare Bedin¬gungen: Er will bis Ende des Jahres in der Firma freigestellt verbleiben, mit dem Recht auf vorzeitige Vertragsauflösung und Auszahlung des vollen Jahresgehalts, falls er eine neue Stelle findet, und vor allem mit dem Recht auf weitere Mitarbeit im Betriebsrat, um die Nachfolger einzuarbeiten. Ranntodt wird sehen: Jeder vom Betriebsratsdrachen abgeschlagene Kopf gebiert einen neuen.
Sich selbst will Markus Schlotterbek aber auch nicht im Stich las¬sen. Er kennt den Preis für sein Ausscheiden genau.
„... und fünf Monatsgehälter Abfindung“, verlangt er zu-sätzlich zur Freistellung. Damit wird er Hypotheken zu-rückzahlen und Zinszahlungen verringern. Schließlich muss er davon ausgehen, für weniger Geld als bisher zu arbeiten, falls er eine Stelle findet.
Schlotterbek bekommt Unterstützung vom Richter, der sich an Ranntodt wendet: „Selbst wenn die fristlose Kündi-gung bestätigt wird, was ja keineswegs sicher ist, müssten Sie dazu mindestens durch zwei Instanzen gehen“, macht ihm der Richter klar. „Wir sind ja recht schnell, aber beim Landesarbeitsgericht müssten Sie wohl im Mittel ...“, er zählt die Monate an seinen Fingern ab, „bis zum Mai nächsten Jahres warten.“
Es würde Ranntodt also in jedem Fall 17 Monatsgehälter kosten.
Jetzt sitzt der kleinwüchsige Ranntodt schweigend neben seinem Anwalt und schürzt die Oberlippe, sodass seine Schneidezähne vorzustehen scheinen. Unwillkürlich muss Schlotterbek an jene Nagetiere denken, die sich von ins Klosett geschütteten Essens¬resten ernähren.
Ranntodt stimmt widerwillig der Abfindungshöhe zu.
Markus Schlotterbeks Rechtsbeistand achtet darauf, dass im Prozessvergleich „aus betrieblichen Gründen“ zu stehen kommt. Damit Markus, falls er 2004 arbeitslos werden sollte, nicht vom Arbeitsamt gesperrt wird. Doch der alte Betriebsrat hat nicht vor, arbeitslos zu werden. Ein Jahr ist eine lange Zeit. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn er nichts finden sollte. Sein langes Haar, seinen Pferdeschwanz abzuschneiden, ist für ihn das geringste Problem.
Noch ist Schlotterbek in den Vierzigern, aber nicht mehr lange. Am Ende des Jahres wird die Ziffer Fünf ihn zum al-ten Eisen stempeln. Dann dürfte die Jobsuche verdammt schwierig werden. Aber selbst das wäre noch nicht sein Untergang. Schlotterbek hat in die Sozialversicherungen viel und gerne eingezahlt und mit seinem Engagement bei der techno AG auch diesen gebeutelten Kassen geholfen. Er würde es daher nicht ungehörig finden, im aller-schlimmsten Fall auch für sich selbst das soziale Netz in Anspruch zu nehmen. Weder er noch seine Frau hätten ein Problem damit, sich stark einzuschränken, denn das haben sie schon viele Jahre getan, um den Schuldenberg auf dem alten Haus abzutragen, das sie sich in guten Zeiten kauften.
Sich so genügend abgesichert wähnend, stimmt Markus Schlot¬terbek am 7. Januar 2003 der Auflösung seines Ar-beitsverhältnisses bei der techno AG zu.