Amanda Wurm - Wenn Denkmale Denkmale sind

Amanda Wurm
Wenn Denkmale Denkmale sind

Ein Denkmal steht vor mir, wie auch ein Rektor vor mir steht, wenn man einen überfahrenen Frosch in die Tasche einer Lehrerin gelegt hat. Hart und unbeweglich.
Es kann sein, dass der Vergleich nicht ganz meiner reinen Fantasie entspringt, aber das soll uns nicht weiter kümmern. Obwohl, Rektoren waren in meinen Augen schon immer wie Statuen. Mit Augen, die wie Lichtblitze in die Gehirne der Schüler schießen und alles erhellen, was im Schatten verborgen bleiben sollte. Na ja, manchmal kann die Fantasie auch zu blühend sein. Und egal was Rektoren auch machen und wie sie sind, in diesem Moment steht vor mir ein Denkmal. Es hat nichts mit Rektoren zu tun – oder Fröschen und Lichtblitzen. Vielmehr hat es mit meiner Nachbarin zu tun. Oder dem, was von ihr übrig geblieben ist.
Meine Nachbarin war auf den ersten Blick eine unscheinbare Person, man stempelte sie als alte Dame mit Gehstock ab oder man beachtete sie erst gar nicht. So, wie ich es auch tat, bis sie eines Tages an der Tür klopfte.
Mit Keksen. Dampfende Kekse, die bei meinem hungri-gen Blick sofort zerbröckelten und in meinem Mund schmolzen, bevor ich sie überhaupt angerührt hatte. Ich war mir sicher, dass meine Nachbarin Gedanken lesen konnte. Vielleicht war sie ja auch eine ehemalige Rektorin.
Und ich sage euch, es blieb nicht bei einem Mal. Sie schien gerne zu backen, denn alle paar Tage stand sie mit warmen Keksen vor der Tür. Sicherlich hatte sie kleine Wich-tel, die unter kleinen grünen Zipfeln die ganzen geheimen Rezepte verbargen und flitzend umsetzten, denn die Kekse schmeckten wunderbar. Die könnten nur aus einem Märchen stammen.
Zwar war sie selbst nie sehr gesprächig, aber das machte nichts, denn manchmal sprechen Gesten mehr als Worte. Oder Schweigen, das von schwindenden Keksen stammt. Wir saßen auf der Treppe und teilten. Es machte Spaß.
An manchen Tagen übernimmt die Fantasie das Gehirn. Das Denkmal vor mir hat in meiner Fantasie einen Keksteller in der Hand. Und Lichtstrahlen, die aus den Augen in dunkle Ecken dringen und wissen, wie schweigendes Teilen auf Denkmäler projiziert wird. Und Erinnerungen.
Erinnerungen, die die geteilte Freude mehr wert macht als der Schmerz.

aus: Geschichten über ein Miteinander. Geest-Verlag 2024