Experiment führt Schüler in dunkle Zeit - NWZ berichtet über Vorstellung des 'Brücken bauen sich auf-Projekts' in Nordenham-Grebswarden

Experiment führt Schüler in dunkle Zeit

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Junge Frauen                     und Männer wagen zwei Jahre Rollenspiel in Diktatur
Ihre Erfahrungen schrieben die 20 Schüler auf. Ihr Buch wurde jetzt im alten Flakleitstand in Grebswarden vorgestellt.

Warfen im ehemaligen Flakleitstand in Grebswarden einen Blick zurück (von links): Verleger Alfred Büngen, Rena Töllner-Peplau, Christine Metzen-Kabbe, Dennis Traeder und Ysabel Seekermann Bild: Felix Frerichs

Grebswarden Schreckensszenarien aus dem Dritten Reich üben auf junge Menschen oft eine morbide Faszination aus. „Es ist für sie so faszinierend wie ein brutales Computerspiel“, sagt Alfred Büngen im obersten Stockwerk des früheren Flakleit­standes in Grebswarden. Aber junge Menschen müssen sich mit dem Thema ernsthaft auseinandersetzen.
Einmaliges Projekt

Der Verleger aus Vechta wagte zusammen mit 20 Schülern ein einmaliges Projekt: Zwei Jahre lang schlüpften die 18 Jugendlichen in die Rollen von Gleichaltrigen während des Dritten Reiches. Die Oberstufenschüler wurden zu jüdischen Mitbürgern, zu glühenden Nationalsozialisten, zu Kriegsversehrten. In diesem zweijährigen Rollenspiel lebten sie die Schicksale einer Klasse während der NS-Diktatur nach.

Im ehemaligen Flakleit­stand fand am Dienstagabend auf Einladung des Militärgeschichtlichen Museums die Vorstellung des Projekts und eine Lesung mit Lehrern und Schülern statt. 50 Zuhörer hatten sich in dem kleinen Raum des alten Militärgebäudes eingefunden, um in beengter Atmosphäre die beklemmenden Geschichten der jungen Frauen und Männer zu hören. Den Kontakt zum Bad Zwischenahner Gymnasium, in dem das Projekt in einem Seminarfachkurs unter Leitung von Geschichtslehrerin Christine Metzen-Kabbe stattfand, stellte Rena Töllner-Peplau her. Ihr Enkelsohn Bero Klahr gehört zu der Schülergruppe, die das Buch schrieb. Unter dem Titel „Brücken bauten sich auf – Ein Projekt zum Thema Nationalsozialismus und Ausgrenzung“ ist es im Geest-Verlag erschienen.

Verleger Alfred Büngen warnte vor einer moralischen Instrumentalisierung der Schüler beim Thema NS-Vergangenheit. „Wir sollten uns davor hüten, zu moralisieren.“ Es gebe verhängnisvolle Fehler in der Herangehensweise an die Thematik Nationalsozialismus. Lehrerin Christine Metzen-Kabbe drückte es so aus: „Erinnerung ist kein Selbstzweck.“ Oft werde versucht, sich durch besonders moralisches Erinnern reinzuwaschen vom eigenen schlechten Gewissen. Erinnerung, so die Historikerin, müsse immer gegenwartsorientiert sein.
Schüler lesen vor

Die Schüler Ysabel Seekermann (16) und Dennis Traeder (23) lasen den Zuhörern aus dem Buch vor. Sie schlüpften in die Rollen von Mareike, Mechtild und Franz, ihre Alter Egos aus der NS-Zeit. Für das Buch befragten die jungen Frauen und Männer Zeitzeugen, recherchierten in Bibliotheken und veranstalteten Schreibwochenenden.

Recherche im eigenen Umfeld gehörte dazu. So befassten sich die Schüler mit der Situation der Zwangsarbeiter auf Bauernhöfen und in Baumschulen im Ammerland. „Wie funktioniert ein totalitäres Regime?“ lautete eine der Fragen. Für die Lehrerin ist klar: „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart“.