Markus Fegers - Ws machst du?

Was machst du?

Ein kurzes Klopfen und Bette steht im Zimmer. Sie steckt in der verblichenen Latzhose, die sie immer zum Putzen anzieht.
Bette, meine Nachbarin in diesem winzigen Studen-tenhaus.
„Was machst du?“, fragt sie.
„Ich sitze am Computer.“
„Nicht zu übersehen. Und was machst du am Com-puter?“
„Ich schreibe.“
„An deiner Arbeit hoffentlich.“
Bette hat einen oft lästigen Hang zur Kontrolle.
„Ich sollte wohl…“, seufze ich. Als ob ich nicht sel-ber wüsste, dass in drei Tagen die Abgabefrist für meine Semesterarbeit ausläuft!
„Also nicht.“ Bette kräuselt ihre Oberlippe.
Ich schätze, dass nur Frauen diesen speziellen Muskel zum Lippenkräuseln besitzen, und Bette scheint ihn besonders trainiert zu haben.
„Du bastelst wieder an einer deiner Love-Storys“, sagt sie streng.
Schuldbewusst nicke ich.
Bette macht drei schnelle Schritte und steht neben mir. „Darf ich mal sehen?“
Rasch klappe ich meinen Laptop zu.
„Nein, darfst du nicht. Und drin vorkommen tust du auch nicht, falls dich das interessiert.“
Bette zuckt mit den Schultern.
„Was mich eigentlich interessiert: Denkst du daran, dass du heute in den Garten musst oder hast du das vergessen?“
„Ja“, sage ich.
„Ja was?“
„Ja, ich hab’s vergessen. Danke, dass du mich erin-nerst!“
„Ich kümmere mich um Flur und Badezimmer.“ Bette zieht ein Paar Gummihandschuhe aus der Hosentasche. „Wir können auch gerne tauschen…“
„Bloß nicht“, entgegne ich und klettere vom Stuhl. Schiebe Bette aus dem Zimmer, greife meine Jacke von der Garderobe und steige in ein Paar abgetra-gene Joggingschuhe.
Mit dem Garten ist das so eine Sache.
Zwar lässt sich von Bettes Zimmer aus wunderbar hineinschauen, doch er gehört unserer Vermieterin, die im Nebenhaus wohnt. Wir dürfen ihn pflegen, aber nicht nutzen. So steht es im Mietvertrag. Klar, dass sich unser Einsatz meist in Grenzen hält.
Ich stiefele um das Haus herum und klettere über den niedrigen Zaun, weil ich keine Lust habe, nach dem Torschlüssel zu fragen. Beginne, das Laub zu-sammenzurechen, das nach der Schneeschmelze faul und muffig herumliegt. Schneeglöckchen und erste Krokusse legen die Köpfe schief und schauen mir zu.
Okay, ich gestehe: Eigentlich arbeite ich ganz gerne im Garten.
Besonders dann, wenn ich gar keine Zeit dafür ha-be. So wie jetzt. Es putzt das Hirn frei und lässt Raum zum Träumen.
Ich reche und harke. Höre die Möwen kreischen, die zwischen dem flachen Tümpel hinter der Kirche und den Abfallcontainern des nahe gelegenen Fast-Food-Restaurants hin und her pendeln und stelle mir vor, ich wäre am Meer.
Ich liebe das Meer. Seinen Geruch, das Rauschen der Wellen unter einem endlosen Himmel, die un-er¬gründlich grünblaue Farbe. Grünblau sind auch Bettes Augen – und an die denke ich ebenfalls nicht ungern. Auffallend hübsche Augen in einem eher unscheinbaren Gesicht.
Meine nächste Geschichte könnte von einem Gärt-ner erzählen, schießt es mir durch den Kopf. Einem jung verwitweten Gärtner, der sich verliebt in die meerfarbenen Augen seiner – ja, was denn? Be-triebsprüferin vielleicht? Kreditberaterin?
Unwillkürlich muss ich grinsen. Verdammt, es wird Zeit, dass ich endlich diese elende Arbeit über Tri-vialliteratur zu Ende bringe!
Ich sollte zurück an den Schreibtisch. Dringend.
Rasch stelle ich Rechen und Harke an den Keller-abgang, steige aus meinen schmutzigen Schuhen und wasche meine Hände gründlich in einem strahlend sauberen Bad. Spüle das Becken sorgfältig aus und wische den Wasserhahn mit meinem Ärmel trocken. Bette nimmt es da sehr genau. Und Stress mit ihr mag ich nicht. Habe schon genug Ärger mit meinem Professor an der Uni.
Bette guckt aus ihrem Zimmer. „Fertig?“
Ich nicke.
„Der Kaffee ist auch fertig“, sagt sie. „Vielleicht hast du noch ein paar Minuten für eine Tasse auf dem Balkon …“
Aussicht auf eine weitere kurze Gnadenfrist.
„Gerne“, sage ich.
Bettes Balkon ist ihre Fensterbank. Wir sitzen da-rauf, lassen unsere Beine nach draußen baumeln, schauen auf den frisch polierten Rasen, blinzeln in die tief stehende Wintersonne und wärmen die Hände an den Kaffeebechern.
Immer noch kreisen die Möwen. Kreisen und krei-schen.
Wahrscheinlich vermissen sie das Meer.
„Wenn ich eine Möwe wäre“, sagt Bette und schaut ganz verträumt, „dann wollte ich auf einer Insel leben, im Dünengras mit Nordseeblick …“
„Netter Gedanke“, sage ich, „du als Möwe.“
Ich nehme einen letzten Schluck und klettere zu-rück ins Zimmer.
„Was machst du?“, fragt Bette.
„Was wohl“, sage ich. „Schreiben natürlich.“
„An deiner Arbeit?“
„Frag nicht“, sage ich und gehe.