Wendelin Mangold - ein Fundstück von 2021
Findling vom 7.2.2021
Unsere Eltern kauften 1950 in der Norduralverbannung eine bis auf die Knochen abgemagerte Kuh (rote Rasse und gehörnt) bei einer russischen Witwe im russischen Nachbardorf, bei der gegen Frühjahr, nach unendlich langem frost- und schneereichem Winter, das Futter ausgegangen war und die Kuh zu verhungern drohte. Wir päppelten sie nach Möglichkeit auf, bis endlich die ersten Grashelme aus dem tief durchgefrorenen Boden hervorkamen. Im Nachhinein stellte es sich heraus, dass die Kuh stur von Charakter war und zum Kalben jeden Frühling in die Taiga abhaute und wir sie suchen mussten, auch drohte sie, uns Kinder auf ihre spitzen Hörner zu nehmen, kehrte sie von der Sommerweide, von Durst und blutrünstigen Bremsen geplagt, zurück.
Als wir 1955 endlich nach Stalins Tod von der Kommandanturaufsicht entlassen wurden und uns Richtung Sibirien begaben, endete unsere Kuh als Fleisch zum Verkauf, um die Reise bezahlen zu können.