Loges, Gabriele

Autorenbiographie

Gabriele Loges

geboren 1957, studierte Germanistik und Philosophie in Tübingen.Sie arbeitet heute als Bibliothekarin und lebt mit ihrer Familie auf der Schwäbischen Alb. Stimmen zur Autorin und zum Buch: Wortfugen - sie können wie Musik dahin fliegen, vielstimmig, flüchtig. Und als Fügung, Zwischenraum, Überbrückung verstanden werden. In der Sprache, als Bild. Tatsächlich bieten Gedichte, Prosa und Bilder im Buch von Gabriele Loges eine vielstimmige Einheit, ein abwechslungsreiches Leseerlebnis. Wortgebauter Bogen, bild- und fantasievoll. Aus Kindertagen, aus Kaiserzeit. Vom Berner Oberland bis ins ferne Birma. Geschichten, die locken, verknüpfen, bauen - Brücken. Kunstvoll, einfühlsam spannt Gabriele Loges die Bögen zwischen Du und Ich, zwischen Einzelschicksalen und den Augen der Leser. Spürt die Autorin diese Augen dicht hinter sich, geht sie schnell weiter. Gibt ganz den Blick frei. Am besten gefallen mir die Erzählungen - ihre beiläufige Genauigkeit, ihre Menschenfreundlichkeit, ihr Staunen, der lakonische Gestus, die Zärtlichkeit, der feine Humor, der Horizont, der den Protagonisten verliehen wird ... Ein Kunststück besonderer Art ist auch "Birma ist schön": fast naiv rapportiert, wie aus Notizen einer eifrigen Tagebuchtouristin zusammengestoppelt, verwandelt es sich unversehensin eine vielschichtige Erzählung, die an Grundfragen unserer Existenz rührt. Und noch nie zuvor ist der Einbruch jähen Unglücks - wie im Verkehrsunfall - so verhalten (und damit so erschreckend) beschrieben worden. Gabriele Loges beobachtet genau. Die Komplexität der Verhältnisse, die Irrungen und Verwirrungen menschlicher Seelen werden deutlich. Die Texte der Autorin verweilen weder an der Oberfläche von Sachverhalten, noch haben sie etwas mit voyeuristischen Schlüssellochblicken zu tun. Es sind vielmehr Röntgen-Aufnahmen, die das Mark in der Tiefe aufspüren, die Grund, Gründe und Grundlegendes ausloten, die den Sitz des Herzens und der Gefühle erkunden, die nach Hintergründen und Zusammenhängen forschen.Gerd Bantle, Schwäbische Zeitung

 




 

Auszug :


Der Tisch des Dichters

Strandfrauen

Die Frau sitzt am Strand. Ihre Hände halten die Ellenbogen, ihre Arme umschlingen die Knie.
Die Badenden und die Kinder haben das türkisfarbene Meer und einen mehrfach umgeschichteten Strand zurückgelassen. Nur sie sitzt noch da. Ich renne, hin und her, her und hin. Mal sitzt die Frau rechts von mir, dann wieder links. Sie beachtet mich nicht.
Ich kenne die Frau nicht. Trotzdem verliere ich sie nicht aus den Augen.
Seit zwei Wochen jogge ich morgens und abends barfuß an der Wasserkante entlang. Die Frau mit den wehenden Haaren habe ich noch nie gesehen. Braun sind die Haare, schokoladenbraun, sie bedecken ihren Rücken. Ein schmaler, zerbrechlicher Rücken.
Heute morgen saß sie bereits da. Am Abend laufe ich wieder an ihr vorbei. Ihr Kopf liegt auf der linken Seite, auf ihrem linken Knie. Es muss spitz sein und unbequem. Vielleicht lebt sie nicht mehr. Aber sie wäre längst zur Seite gefallen. Ich werde meine Schritte direkt an ihr vorbeilenken. Dann kann ich sehen, was mit ihr los ist.
Ich jogge weiter, bis sie auf einer Geraden zwischen mir und dem Aufgang zur Uferpromenade liegt und verlasse das Meer in ihre Richtung.
Die Frau bewegt sich nicht. Ein fragender Blick im Vorübergehen. Ihr Kopf verharrt. Ihre Augen verfolgen mich; ich spüre sie, bis ich aus ihrem Blickfeld geraten bin.
Ich esse etwas im Hotel, es schmeckt mir nicht. Ich ziehe meine Turnschuhe an und renne noch einmal zum Strand. Die tief stehende Sonne vergoldet die Schaufenster. Am Strand ist es kühl, ausgestorbene Sandburgen werfen Schatten.
Sie sitzt immer noch an derselben Stelle. Ich bleibe oben an der kleinen sandigen Treppe, die zum Meer hinunterführt, setze mich auf die oberste Stufe, umschlinge meine Knie mit den Armen und betrachte die Frau.
Die Flut kommt. Ganz langsam. Manchmal streckt sich das Wasser übermäßig weit vor, um dann wieder mit kleinen Wellen einem natürlichen Rhythmus zu folgen.
Die Frau rührt sich nicht. Ihre Haare umhüllen sie. Das Meer umspült ihre Füße. Sie sieht die Wellen, die den Sand glätten, sieht das Wasser, das die Sandburgen einebnet.
Das Wasser steigt. Die Sonne versinkt im Meer. Schwarz ist das Meer, farblos der Sand. Meine Augen brennen. Ich kann die Frau nicht mehr sehen.
Mir ist kalt. Steif stehe ich auf und verlasse die Uferpromenade.
Am nächsten Morgen ist der Strand menschenleer.
 

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