Hanna Marika Linke - Der Flug zum Mond (Jugendliche melden sich zu Wort)
Hördatei:
Hanna Marika Linke
Der Flug zum Mond
Ich saß da und kaute an meinen Fingern. Warum war alles nur so schwer? Mit ‚alles’ meinte ich mein Le-ben, welches mir so farblos wie das weiße Blatt vor mir vorkam. Na gut, es hatte Kästchen, das Blatt, trotzdem, das machte das Ganze nur schlimmer. Es deutete nämlich darauf hin, dass erstens alles so verdammt berechnet war, jeder noch so kleine Millimeter konnte sich hier nicht verstecken, und zweitens hieß es, dass Mathe vor mir stand. Mathe, mit seiner doch so begrenzten Freiheit, Mathe, wo es nur ein Richtig und ein Falsch gab. Das Fach, in dem meine Wahrscheinlichkeit, richtig zu liegen, weniger war, als dass ich auf den Mond fliegen würde.
Und warum ...
Ah, da waren sie schon: ,,Jetzt denk doch mal posi-tiv, das klappt schon, ran an den Speck!“, meine zwei Stimmen im Kopf. Die eine, die mir immer in den Arsch treten wollte, damit ich doch endlich mal selber was machen würde, und die zweite, die mir auch in den Arsch treten wollte, damit ich da blieb, wo ich war, da, wo der Pfeffer wächst.
Okay, dachte ich mir und nahm den Stift, kaute an ihm herum und wandte nun meinen Blick von unendlichen Kästchen ab, um auf die Matheaufgabe zu schauen.
,,Siehste, kriegste doch eh nicht hin, verstehste ja nicht mal, nicht mal den Taschenrechner kannste be-die...“
,,Klappe, jetzt halt doch mal die Klappe, guck doch mal hin, sie versucht’s doch! Hör nicht auf die, die muckt nur wieder rum, hat sich mit negativem Zeugs vollgefuttert.“
Ich kriegte die Krise, so ging das nicht, so nicht, aber was sollte ich schon tun?
,,Abschreiben, das kannste doch so gut, das Einzige, was du verstehst.“
Ja, vielleicht sollte ich wirklich Linda anrufen und sie fragen, vielleicht könnte sie mir ja ...
,,Papperlapapp, du setzt dich jetzt auf deinen Hosenboden und versuchst, dich mit den Aufgaben auseinanderzusetzen und falls du umfällst, na mach schon!“
Unschlüssig knibbelte ich an der Seite herum.
Dann schlug ich das Buch zusammen. ,,So!“, sagte ich ganz laut, sehr laut, so laut, wie ich schon lange, sehr lange, Ewigkeiten nicht mehr gewesen war.
So laut sagte ich: ,,So!“
,,Aber ...?"
,,Aber was hast du vor? Bleib hier!“
,,Genau, bleib hier, in deinem Versteck biste siche-rer!“
Einmal, das erste Mal, waren sich beide Stimmen einig.
,,Nein!“, schrie ich. ,,Nein“, sagte ich dann leiser, aber bestimmt. ,,Ich brauche euch nicht mehr! Lasst mich!“
,,Hallo?“, fragte ich nochmal (Stille) und dann dachte ich ‚Gut’.
So, und jetzt? Jetzt wollte ich einfach los, wenn schon nicht Mathe, dann aus eigener Entscheidung, dann aus eigener Kraft. Ich stand auf, ließ mir Zeit, wer hetzte mich schon, doch nicht Mathe und auch keine verdammten Selbstzweifel!
Ich schnappte mir meine Jacke, ging in den Flur, schaute umher. Ha, das, das war jetzt genau das Richtige! Ich strich mir roten Lippenstift über die Lip-pen, grinste mich im Spiegel an und riss die Tür auf, so, jetzt ging’s los, mein Leben. Eine grenzenlose Freiheit ohne Kästchen, denn die Kästchen waren nun mal nur auf einem Blatt und hinter dem Blatt war die Freiheit.
Vielleicht hatte ich nicht Mathe gelernt, nein, aber ich hatte etwas viel Wichtigeres gelernt, auch mal was zuzuhauen, ohne Angst vor Risiken, ohne Angst vor mir selbst, vor meinen Fehlern. Denn die Käst-chen und Engen, die Zweifel und Unebenheiten, die waren auch ich. Ha, aber nicht nur, da waren auch noch so viele schöne Dinge an mir und das war nicht nur der wunderhübsche rote Mund, der jetzt vor sich hin grinste. Sondern das war ich gesamt, wie ich gerade förmlich durch die Straßen flog, ungewiss, wo ich langlief, und wenn ich irgendwann mal wieder absackte, nur die Kästchen sah, dann würde ich wissen: Ja, hinter den Kästchen geht’s weiter. Jetzt geht’s schon weiter und so ließ ich mich treiben, durch die Menschenmengen. Roch einfach nur die Abendluft, wie sie sich zaubervoll um mich legte, mich in den Bann des Lebens zog, in das Schöne des Lebens! Und wer weiß, vielleicht würde ich ja eines Tages zum Mond fliegen. Ach nein, ich tat es ja schon, flog gerade in den Nachthimmel hinein zum Mond.
Hermann Knehr
Wir hätten viel bewirken können
Wir hätten viel bewirken können, doch wir blieben
nicht lang genug, um etwas zu erreichen;
wir waren wie ein Blatt, das unbeschrieben
am Rande lag und von des Dichters Hand
nur wahrgenommen wurde wie ein Gegenstand,
der unbedeutend und ganz nach Belieben
für ihn vielleicht einmal Verwendung fand,
und warteten vergeblich auf ein Zeichen.